Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
und Autos vor einem prächtigen weißen Gebäude

© Oleksander Klymenko

Pfarrer Dr. Achim Reis sind immer wieder Zeichen des Krieges in Kiew begegnet

Ein EKHN-Pfarrer in Kiew: zwischen Luftalarm und evangelischem Gemeindeleben

veröffentlicht 25.09.2024

von Achim Reis / Online-Red. d. EKHN

Im Sommer 2024 hat der Muschenheimer Pfarrer Dr. Achim Reis die Mitglieder der lutherischen Gemeinde in Kiew besucht – sein früherer Wirkungsort. Immer wieder hat er einen Hauch der Normalität städtischen Lebens erfahren, die aber der Krieg durchbrochen hat. Er hat auch erlebt, was Spenden bisher bewirkt haben.

Fünf Nächte haben Pfarrer Dr. Achim Reis und Christian Weise, Übersetzer aus dem Ukrainischen ins Deutsche, in der ukrainischen Hauptstadt zugebracht. Sie reisten im Auftrag des Gustav-Adolf-Werks und kamen am Morgen des 31. Juli mit dem Nachtzug aus Lemberg in Kiew an. Wie Pfarrer Reis die Reise erlebt hat, schildert er hier:

Normalität plus Bomben

von Pfarrer Dr. Achim Reis

Mit meinen Kiewer Gesprächspartnern bin ich schnell einig, dass sich die gegenwärtige Situation in der Stadt auf diese Formel bringen lässt. Auf den Straßen geht es hektisch-geschäftig zu, die Geschäfte bieten alles, was man braucht, die Cafés und Gaststätten sind gut besucht. Das Leben pulsiert. Man merkt kaum einen Unterschied zu früher. Aber nur bis gegen 23 Uhr. Von 0 bis 5 Uhr ist „Komandandska Hodina“, ist Sperrstunde, da ist der Aufenthalt außer Haus verboten, da heißt es also rechtzeitig in der Wohnung anzukommen, noch die letzte Metro zu erwischen. Die Normalität vordergründig.

Auswirkungen des Krieges auf die Wirtschaft

Und sie fehlt ganz, wenn etwa der Betreiber eines kleinen Unternehmens berichtet, dass für seinen zuvor erfolgreichen Modellbau- und Ladeneinrichtungsbetrieb WokaWoka seit Kriegsbeginn alle Aufträge weggebrochen sind. Wolodimyr alias Wladimir Valdman-Kusjnanz hofft jetzt inständig auf die Realisierung eines bereits zugesagten GIZ-Projekts, ansonsten sieht die Zukunft düster für ihn aus. So wie bei vielen anderen Unternehmen, denen der Krieg die Luft abschnürt. Dazu kommt noch das Damoklesschwert der Einberufung zum Militär: Das kann Männer zwischen 18 und 60 nahezu jederzeit treffen. 

Gefahr aus der Luft

Die Normalität ist vordergründig. Und es sind nicht nur Bomben, die Angst machen. Lenkbomben, Raketen und Drohnen gefährden die Stadt und die Menschen in ihr. Unweit von WokaWoka sind sie unlängst eingeschlagen, haben die Scheiben im Firmengebäude bersten lassen.

In den ersten drei Nächten und am letzten Tag gibt es Luftalarm: Die Sirenen in der Stadt heulen und die Regierung der Ukraine sendet eine Gefahrenmeldung aufs Handy. Anscheinend sind diesmal keine Schäden zu beklagen.

Viele Fotos auf einer Mauer

© Oleksander Klymenko

Geschnitzter Jesus am Kreuz

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Mann am Kopfende eines Tisches, darum viele Menschen

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Pfarrer und eine Frau hinter einem Altar vor einem großen, geschnitzen Jesus am Kreuz

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Abendmahl in Kiew

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Menschen im Kreis beim Abendmahl

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Viele Fotos auf einer Mauer

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Geschnitzter Jesus am Kreuz

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Mann am Kopfende eines Tisches, darum viele Menschen

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Pfarrer und eine Frau hinter einem Altar vor einem großen, geschnitzen Jesus am Kreuz

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Abendmahl in Kiew

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Menschen im Kreis beim Abendmahl

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Viele Fotos auf einer Mauer

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Geschnitzter Jesus am Kreuz

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Mann am Kopfende eines Tisches, darum viele Menschen

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Pfarrer und eine Frau hinter einem Altar vor einem großen, geschnitzen Jesus am Kreuz

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Abendmahl in Kiew

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Menschen im Kreis beim Abendmahl

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Unvorstellbares Leid: Portraits gefallener Soldaten an den Außenmauern des Michaelsklosters Klosters

Leid und Tod hat auch Jesus erfahren - aber seine Auferstehung schenkt Hoffnung, dass es ein anderes, neues Leben nach der Dunkelheit gibt. Daran erinnert die Skulptur von Jesu Kreuzigung im Gottesdienstraum der lutherischen Gemeinde in Kiew.

Pfarrer Reis hört sich an, was die Menschen der lutherischen Kirchengemeinde in Kiew zu sagen haben

Pfarrer Achim Reis hält den Gottesdienst in der lutherischen Gemeinde in Kiew

Abendmahl in Kiew

Verbundenheit und tiefer Glaube angesichts der Bedrohung beim Abendmahl

Trauer um gefallene Soldaten

Auf dem Weg zu unserer Unterkunft, der Pilgerherberge im Michaelskloster, geht es am Samsung Hochhaus, dessen Scheiben zum großen Teil von der Druckwelle bei einer nächtlichen Explosion geborsten sind. Und kaum, dass wir im Kloster angekommen sind, werden wir Zeugen einer Trauerfeier: Ein junger Soldat wird von Familie und Kameraden verabschiedet, der Sarg hernach zum Friedhof gefahren. An den folgenden Tagen sehen wir weitere Trauerfeiern für Gefallene, die Außenmauern des Klosters sind mit vielen tausend Portraits gestorbener Soldaten übersät.

Evangelisches Gemeindeleben in Kiew aufrecht erhalten

Christian Weise und ich sind nach Kiew gereist, um die dortige lutherische Gemeinde zu besuchen. Von 1992 bis 1996 war ich der Pfarrer dieser Gemeinde, seitdem ist der Kontakt nicht abgebrochen. Und seit Kriegsbeginn schickt ein Kreis ehemaliger Gemeindepfarrer Lesegottesdienste in die Stadt am Dnjepr, um das gottesdienstliche Leben der Lutheraner zu unterstützen - aktuell gibt es keinen eigenen Gemeindepfarrer. Von Zeit zu Zeit kommt einer aus dem Kreis der ehemaligen vorbei und bleibt ein Wochenende oder - zu Weihnachten und zu Ostern - auch länger, um der Gemeinde zu signalisieren: Ihr seid nicht vergessen.

Hilfe des Gustav-Adolf-Werkes durch Spenden möglich

Diese Frage bewegt auch im Kirchenvorstand. Mit ihm treffe ich mich nach der Gemeindebegegnung. Finanzielle Sorgen kommen zur Sprache: Die Regierung hat die Energiekosten drastisch erhöht, nun ist unklar, wie die Gemeinde durch den Winter kommen soll. Ich überreiche vor Ort einen ersten Betrag und sage weitere Hilfe durch das Gustav-Adolf-Werk zu. Wie weit die gehen kann, hängt von den Spenden ab, die jetzt erbeten werden müssen.

Spenden ermöglichen die Herrichtung durch den Krieg zerstörter Wohnungen

Während die seelsorgerliche Betreuung schwierig ist und bleibt, entwickelt sich die diakonische Arbeit in der Kirche gut. Dank der Hilfe aus der bayerischen Landeskirche und dem Lutherischen Weltbund können hunderte von Familien unterstützt werden, konnten hunderte von kriegszerstörten Wohnungen in Charkiw wiederhergerichtet werden.

Zukunft der Kiewer Gemeinde unklar

Zum Gottesdienst haben sich in vergleichsweise kleiner Besetzung die Kerngemeinde und der Chor - eigentlich auch er Kerngemeinde - versammelt. Im August sind viele Gemeindeglieder auswärts auf ihren Datschen - oder weiter in Westeuropa, wo sie seit dem russischen Überfall als Flüchtlinge ausharren.
Später treffen wir Pawel Schwarz, der Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine (zu dieser Kirche gehört die Gemeinde) in Kiew. Er berichtet von der Zerrissenheit in der kleinen Kirche, Fraktionierungen dauern an und kosten Kraft und die Einheit. Es gibt landesweit viel zu wenige Pfarrer. Ob die Pfarrstelle in Kiew nach dem Krieg wieder regulär besetzt werden kann, erscheint einstweilen als offen: Mit Kriegsausbruch hat der letzte Stelleninhaber die Gemeinde verlassen, inzwischen hat sich in Deutschland bei den Pfarrern die Situation weiter verschärft, es gibt zu wenig Nachwuchs. Vielleich lässt sich ein rüstiger Ruheständler für die Aufgabe gewinnen.

Versöhnung und Erbarmen

Der 4. August ist der 10. Sonntag nach Trinitatis, der Israelsonntag. In der Predigt thematisiere ich unter anderem die Allversöhnungslehre (Römer 11,32: Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme). Gelten Versöhnung und Erbarmen sowohl den Lagerinsassen von Auschwitz als auch ihren SS-Schergen? Den Gedanken zum künftigen Verhältnis von Ukrainern und Russen weiterzuspinnen, überlasse ich den Zuhörern.

Kurz vor unserer Abreise Montagabend gibt es noch einmal landesweiten Luftalarm. Die Aufhebung durch die Regierung endet mit den Worten: „May the force be with you.“ Und schon ist sie wieder da, die scheinbare Normalität.

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