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Versöhnung - ein Gesprächsprotokoll
veröffentlicht 14.02.2024
von Sebastian von Gehren
Wegen eines Streits hat Annika mit ihrem Bruder Sören jahrelang kein einziges Wort mehr geredet. Bis eine unerwartete Geburtstagskarte zu einer ersten Annäherung führte.
Viele Jahre herrschte zwischen Ihnen beiden absolute Funkstille. Wie konnte es so weit kommen?
Annika: Es klingt fast wie ein Klischee, aber es ging ums Erbe. Nach dem Tod meiner Mutter fühlte ich mich ungerecht behandelt, weil ich nur einen Pflichtteil bekommen sollte, Sören hingegen das Haus und alle Ersparnisse. Mein Verhältnis zu meiner Mutter war immer recht angespannt, trotzdem hatte ich bis zuletzt geglaubt, dass sie ihre beiden Kinder im Testament gleich behandelt. Als ich feststellen musste, dass das nicht so ist, habe ich vor Wut rotgesehen.
Sören: Sie hat mir Dinge vorgeworfen, die mich zutiefst verletzt haben.
Annika: Ich habe dich als Intriganten bezeichnet. Als geldgieriges Schwein, das mich aus Habsucht vor Mutter schlechtgemacht hat.
Harte Worte. Haben Sie die niemals bereut?
Annika: Ich sage das nicht gern, aber zunächst nicht. Ich habe nur das vermeintliche Unrecht gesehen, das mir angetan worden ist.
Sören: Zwei- oder dreimal habe ich noch versucht, versöhnlich auf meine Schwester zuzugehen.
Annika: Aber ich habe dich abblitzen lassen. In meiner Wut bin ich sogar noch ausfallender geworden. So sehr, dass ich irgendwann den Eindruck hatte, jetzt ist die Grenze überschritten, nun gibt es kein Zurück mehr.
Sören: Zu diesem Zeitpunkt wollte ich dann auch irgendwann keinen Kontakt mehr zu Annika. Das hat mir einfach zu weh getan. Ich brauchte eine Beziehungspause.
Die dann fünf Jahre gedauert hat.
Sören: Wahnsinn, oder? Aber so ganz ohne Annika hat es dann halt auch nicht funktioniert. Meine Schwester ist unheimlich impulsiv. Wir haben uns schon als Kinder viel gestritten, oftmals bis die Fetzen flogen. Aber am Ende haben wir uns immer wieder vertragen. Daran musste ich im Laufe der Zeit immer häufiger denken.
Wie kamen Sie wieder in Kontakt?
Annika: Sören hat mir zum Geburtstag eine Karte geschrieben. Einen einzigen Satz nur: „Du fehlst mir, große Schwester!“ Da ist in mir eine Welt zusammengebrochen und ich habe Rotz und Wasser geheult. Das war so schön. Kein Vorwurf, kein Nachtreten. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie viel mir das bedeutet hat.
Sören: Wir haben noch am gleichen Tag telefoniert.
Und sich direkt wieder versöhnt?
Sören: Es war ein gutes Gespräch. Danach hatte ich den Eindruck, dass wir doch noch eine Chance haben. Wir haben eine Tür geöffnet, durch die wir gemeinsam gehen konnten. Trotzdem muss ich sagen: Es hat noch einige Zeit gedauert, bis ich ihr endgültig vergeben konnte. Wir mussten ein paar Dinge gemeinsam aufarbeiten. Wichtig war: Wir waren endlich beide bereit dazu.
Annika: Sören hat mir unter anderem angeboten, dass wir noch einmal über die Verteilung des Erbes sprechen. Wir konnten zum ersten Mal ruhig darüber reden.
Sören: Ich habe gemerkt, dass Annika das Geld nicht wichtig ist. Ihr ging es mehr um Gerechtigkeit. Sie hat sich als Tochter zurückgesetzt gefühlt. Nur diesmal hat sie es mir nicht so emotional vor den Latz geknallt, sondern sachlich darüber gesprochen. Ohne Zorn.
Annika: Ich habe bei unserem Streit Dinge gesagt, für die ich mich bis heute schäme. Ich bin Sören unendlich dankbar, dass er den ersten Schritt getan hat. Ich war zu feige, meinen Bruder um Verzeihung zu bitten. Für mein Verhalten habe ich einen verdammt hohen Preis gezahlt. Das soll jetzt nicht pathetisch klingen, aber ich habe wegen eines Streits fünf gemeinsame Jahre mit meinem Bruder verloren. Die kann mir niemand mehr zurückgeben. Das tut mir bis heute weh.
Das Gespräch führte Sebastian von Gehren im Rahmen der Impulspost "Lichtblick Ostern"
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