Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Frau signalisiert "Nein"

© gettyimages, petro kosarevych

Nach einer sexuellen Belästigung kann es hilfreich sein, im geschützten Rahmen mit einer verständnisvollen und kompetenten Gesprächspartnerin zu sprechen

Hilfe nach einem sexuellen Übergriff

veröffentlicht 24.10.2023

von Rita Haering

Sexueller Übergriffe können an öffentlichen Plätzen vorkommen, aber auch in der eigenen Familie oder dem eigenen sozialen Umfeld. Die Beraterinnen des „Zentrum für Frauen“ geben Empfehlungen für die ersten Schritte nach einer sexuellen Belästigung.

Es gibt einen großen Handlungsbedarf, um Mädchen und Frauen vor sexueller Belästigung und vor Übergriffen zu schützen. Das erfahren die Mitarbeitenden im „Zentrum für Frauen“ der Diakonie Frankfurt und Offenbach. An die dortige Beratungsstelle können sich Frauen in schwierigen Lebenssituationen wenden, beispielsweise wenn sie sexuelle Übergriffe erlebt haben. Ein Angebot, das gebraucht wird, denn 97 Prozent der Frauen haben laut Statista schon einmal eine Form der Belästigung erlebt. Wenn ein Mensch mit sexistischen Äußerungen beleidigt, ungewollt berührt oder gar vergewaltigt wird, dann handelt es sich dabei um unterschiedliche Formen sexualisierter Gewalt, die völlig inakzeptabel sind.

Orte sexueller Übergriffe: Familie, Bekanntenkreis und Öffentlichkeit

Beratung suchende Frauen erleben sexuelle Übergriffe in erster Linie innerhalb der eigenen Familie oder dem eigenen sozialen Umfeld. Viele haben bereits als Kinder sexuellen Missbrauch erfahren; eine weitere größere Gruppe von Frauen leidet an sexueller Gewalt durch den eigenen Lebenspartner. Die Erfahrung der Beratenden zeigt, dass sexualisierte Gewalt in allen sozialen Schichten vorkommt. Die Beraterinnen machen allerdings auch deutlich, dass viele Delikte nicht angezeigt werden.
Damit sexuelle Übergriffe in der evangelischen Kirche möglichst vermieden werden, setzt die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau unter dem Motto "Null Toleranz bei Gewalt" auf eine Verzahnung von Prävention, Intervention und Aufarbeitung. Für Opfer stehen Hilfsangebote bereit. 

Im Falle eines sexuellen Übergriffs empfehlen die Beraterinnen des "Zentrums für Frauen":

Empfehlungen: Was tun nach einem sexuellen Übergriff? 

Vorbeugung – einen drohenden Angriff möglichst verhindern

Sobald wahrgenommen wird, dass ein Übergriff im öffentlichen Raum drohen könnte, sollten Anwesende direkt angesprochen werden. Zudem kann die Polizei gerufen werden.

Kontakte zu professionellen Ansprechpartnern – Hilfe holen

Hilfreiche Kontakte sollten vorbeugend im Handy eingespeichert oder auf einem Zettel im Portemonnaie mitgetragen werden.

Wenn die Frau die Tat anzeigen möchte:
Die Nummer der Polizei lautet 110.

Wenn die betroffene Person Beratung sucht, um einen Überblick über ihr mögliches Vorgehen zu erhalten, um sich auszusprechen:
Frauennotruf Frankfurt 069 – 70 94 94
Bundesweites Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" 08000 - 116 016
Beratungsstelle im Zentrum für Frauen der Diakonie in Frankfurt und Offenbach
Hilfe bundesweit
Hilfe bei sexuelle Belästigung von Jungen: Zartbitter
Wildwasser – Hilfe für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
Opferhilfe des Weissen Rings

Bei schwerer sexualisierter Gewalt, einer Vergewaltigung sollte auf jeden Fall die medizinische Soforthilfe aufgesucht werden. Neben einer medizinischen Erstversorgung kann auch die Beweissicherung für eine eventuelle Anzeige erfolgen. Das Opfer der Straftat muss sich nicht auf eine Strafanzeige festlegen, aber die Grundlage für eine spätere Anzeige werden geschaffen:
Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung

Sich bewusst machen: Opfer tragen keine Schuld

Das Fehlverhalten liegt auf der Seite des Täters, nicht auf der Seite des Opfers. Quälende Fragen eines Opfers wie: „War der Rock vielleicht doch zu kurz?“ sind ganz klar mit „Nein“ zu beantworten.

Erlebtes ansprechen und um Unterstützung bitten

Die Beraterinnen empfehlen, über das Erlebte mit Menschen zu sprechen, denen sie vertrauen. Betroffene Frau erleben es als hilfreich, wenn jemand ihren Erzählungen glaubt. Möglich sei, ein Familienmitglied oder eine gute Freundin um Unterstützung bei der Suche nach Beratungsstellen oder um Begleitung zu bitten, falls beispielsweise eine Anzeige bei der Polizei aufgegeben werden soll.

Mit Unverständnis aus dem sozialen Umfeld rechnen

Hilfreich ist, wenn das soziale Umfeld mit Verständnis reagiert. Doch möglicherweise fühlen sich Familienmitglieder oder Freundinnen von der Nachricht über einen sexuellen Übergriff überfordert. Wenn eine Freundin z.B. mit Vorwürfen reagiert, möchte diese sich vermutlich selbst das Thema vom ‚Leib zu halten. Dann sollte man sich klar machen: Es geht gar nicht um die Betroffene, sondern um eine Art Selbstberuhigung der Person, die so reagiert. Wenn betroffene Frauen das verstehen, können sie sich von solchen Beschuldigungen besser schützen. Manche Freundschaften können das Erlebte nicht auffangen. Hier leisten Mitarbeitende in professionellen Beratungsstellen gute Unterstützung.

Beratung aufsuchen, Trauma verarbeiten

Viele Mädchen und Frauen machen die Erfahrung, dass ihnen niemand glaubt – dann fühlen sie sich, als ob an ihnen selbst etwas falsch ist. Bei den Mitarbeitenden der Beratungsstellen und beim Frauennotruf finden die Frauen hingegen einfühlsame Ansprechpartnerinnen. Zudem sei die Erfahrung von sexualisierter Gewalt oft mit einer eine Traumatisierung verbunden. Denn je geringer die eigene Handlungsfähigkeit erlebt wird, desto höher ist die Gefahr der Traumatisierung. Deshalb sollte das Erlebte professionell aufgearbeitet werden, um Langzeitfolgen zu minimieren oder zu vermeiden. Deshalb verweise die Beratungsstelle betroffenen Frauen bei Bedarf an ausgebildete Traumatherapeut:innen. Auch der Umgang mit Schuldgefühlen sollte angesprochen werden, „um wieder frei agieren zu können.“

Anzeige bei der Polizei erstatten – das Für und Wider

Grundsätzlich sollten Straftaten angezeigt werden. Dies befürworten auch viele Betroffene sexualisierter Gewalt. Allerdings haben manche Frauen auch Gründe, die gegen eine Anzeige sprechen: beispielsweise fehlende Informationen, Befürchtungen, Ängste und die psychische und gesundheitliche Verfassung. Niemand sollte das übergehen und Druck machen, eine Anzeige aufzugeben. Leider kommt dies im privaten Umfeld immer wieder vor. Deshalb: Nur die Betroffene selbst kann über eine Anzeige entscheiden – sie muss eine Anzeige und ein mögliches Verfahren wollen und durchstehen. Die betroffenen Frauen können nicht zwingend eine Verurteilung des Täters erwarten, die Beweisführung ist oft schwierig. Deshalb raten die Beraterinnen, in einem juristischen Verfahren dringend zu einer guten Unterstützung und einer kompetenten Begleitung.

Sich Gutes tun

Wenn das Vertrauen in die eigene Sicherheit erschüttert ist, hilft es darüber zu reden und auch sonst alles zu tun, was gut tut. Auch ein Selbstverteidigungskurs kann Unterstützung bieten – aber nicht, um als Frau die Verantwortung für den eigenen Schutz zu übernehmen. Durch Berichten von Frauen wissen die Beraterinnen, dass das Gefühl sich unbeschwerter im öffentlichen Raum bewegen zu können, durch solche Kurse gestärkt werden kann.

Weiteres Vorgehen klären, Vermittlung an Experten

Die Beratung des „Zentrums für Frauen“ hat einen ganzheitlichen Blick auf die Notlage einer Frau. So verweisen die Beraterinnen gegebenenfalls an Rechtsanwälte, vermitteln zu speziell ausgebildeten Therapeuten weiter oder anderen Beratungsstellen. Falls der sexuelle Übergriff durch den Partner stattgefunden hat, ist dies oft mit Ängsten vor Bedrohung verbunden. Dann werden mögliche Wege gesucht und die Frau während der meist langen Phase der Loslösung vom Partner begleitet.

Und die Männer?

Auch Jungen werden Opfer sexualisierter Gewalt - sowohl außerhalb als auch innerhalb des familiären Umfeldes. Dabei wird sexualisierte Gewalt gegen Jungen von der Öffentlichkeit wenig thematisiert. Allerdings hat ein Forschungsprojekt des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) zu sexuellem Kindesmissbrauch durch Frauen von 2020 ergeben, dass 90 Prozent der Betroffenen die Täterin nicht angezeigt haben. Die befragten Betroffenen äußerten einen großen Veränderungsbedarf in der Gesellschaft: Drei Viertel forderten eine Enttabuisierung des Themas.
Generell haben aber die Beraterinnen des „Zentrums für Frauen“ erfahren, dass in Regel Männer die Täter sind. Sexualisierte Gewalt ist häufig mit dem Thema Macht verbunden und deshalb sind davon Schwächere betroffen, wie auch Kinder.

Quellen:
Zentrum für Frauen
Kirsten Langmaack
Karin Kühn
Frauennotruf Frankfurt
Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs / Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

Social Media

Das könnte dich auch interessieren

Mehr Artikel anzeigen
Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

Aktuelle Nachrichten, geistliche Impulse

Bleiben Sie digital mit uns in Kontakt und wählen Sie aus, welche Themen Sie interessieren.

Newsletter entdecken