Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Sabine Müller-Langsdorf

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Sabine Müller-Langsdorf ist Referentin für Friedensarbeit im Zentrum Oekumene der EKHN und EKKW
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Gastbeitrag: An Gott glauben nach Auschwitz?

veröffentlicht 18.01.2025

von Sabine Müller-Langsdorf

Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar führt uns heute unvorstellbares Leiden und Töten vor Augen. Manche Fragen sich: Wie konnte Gott das zulassen? Wie haben sich die Ereignisse dieser Zeit auf den christlichen Glauben ausgewirkt? Friedenspfarrerin Sabine Müller-Langsdorf teilt ihre Gedanken.

Der 27. Januar gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus. In den Konzentrationslagern und an vielen Orten wurden Millionen jüdischer Menschen, Homosexuelle, Sinti, Roma, politisch Andersdenkende und Menschen mit Behinderung ermordet. Viele Überlebende des Holocaust sagen, sie können seit Auschwitz nicht mehr religiös sein. Gott ist tot für sie. Oder sie stellen die Frage: „Wenn es einen allmächtigen und guten Gott in der Welt gibt, wie konnte er so etwas zulassen?“

Ich kann verstehen, wenn Menschen sich vom Glauben verabschieden, weil sie sich verraten und verlassen fühlten von Gott. Im Kleinen kenne ich solche Momente auch. Und doch lässt es mich nicht los, Gott zu denken. „Gott“ ist für mich ein Bild für alles, was anders ist als mein menschlicher Horizont. Das „Ganz Andere“ für möglich zu halten, scheint mir grundsätzlich eine wichtige Sache, - gegen mein eigenes kleines und manchmal auch kleinkariertes Weltbild heißt „Ganz anders“: Es gibt eine Alternative. Denke weiter, du bist frei. Kein politischer Herrscher darf sich absolut setzen. Kein politisches System oder Konstrukt wie das „Tausendjährige Reich“ sind absolut. In diesem Sinn gibt es mir viel innere Freiheit, Gott zu denken.

Mir ist die Gerechtigkeit Gottes am Ende der Zeiten ein Ansporn zum Einsatz für mehr Menschlichkeit hier und heute.

Friedenspfarrerin Sabine Müller-Langsdorf

Zur Frage nach dem Leid und Gott gefällt mir die Antwort des Erziehungswissenschaftlers Micha Brumlik gut. Er ist ein liberaler Jude. Er wurde als Kind jüdischer Flüchtlinge kurz nach dem Krieg geboren. Als Micha Brumlik fünf Jahren alt war, kehrte die Familie nach Deutschland zurück. Die Frage: „Wie konnte Gott das zulassen?“ begleitete sein Leben. Er hat alle Antworten geprüft und sagt, wer Gott in den klassischen Prädikaten „Allgütig“ „Allmächtig und „Allwissend“ denkt, kommt nicht weiter. Darum macht Micha Brumlik Abstriche, was die Allmacht Gottes betrifft. Aber kann man einen ohnmächtigen Gott noch als Gott bezeichnen? Micha Brumlik sagt: „Doch, das kann man schon denken. Gott ist die Weisung, der Wegweiser, die Stimme vom Sinai, die uns verpflichtet. Aber nicht jemand, der von jenseits des Weltalls beliebig in die schlichen Dinge reinfunken kann.“

Gott als Wegweisung, als Stimme vom Sinai. Am Sinai sind die 10 Gebote entstanden. Auf sie will Gott uns verpflichten: Du sollst nicht töten. Du sollst nicht rauben. Du sollst Gott und deinem Nächsten die Ehre geben…. Diese Weisungen bleiben der Weg zu einem gelingenden Miteinander. Ich finde das in Zeiten abnehmender demokratischer Umgangsformen und Rechte total wichtig. Und die 10 Gebote denken einen Gott, der von Anfang der Zeiten bis in die Ewigkeit da ist. Er wird Gerechtigkeit fordern von denen, die Auschwitz und Treblinka verantwortet haben. Das bleibt am Ende ein Sieg für alle Opfer von Gewalt und Terror. Das ist mehr als „von jenseits des Weltalls beliebig in schlichte Dinge reinfunken.“ Mir ist die Gerechtigkeit Gottes am Ende der Zeiten ein Ansporn zum Einsatz für mehr Menschlichkeit hier und heute.

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