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Beziehung retten: Wie kann das funktionieren?
veröffentlicht 14.02.2024
von Rita Haering
Einige Paare erleben, dass sich Streit und Genervtheit schleichend zwischen ihnen ausgebreitet hat. Vielleicht denkt einer schon daran, die Beziehung nicht mehr weiter führen zu wollen. Der Dipl. Psychologe und Psychologische Psychotherapeut Thomas Mohr verrät, wie Paare möglichst früh umsteuern können.
Es gibt Paare, die momentan ihre Leidenszeit erleben. Dass gute Beziehungen nicht selbstverständlich sind, zeigt die Statistik: Rund 35 Prozent der Ehen in Deutschland werden geschieden (Stand: 2022). Zahllose Artikel berichten über Merkmale, Gefahren und Auswege aus toxischen Beziehungen. Sind verbindliche heterosexuelle oder homosexuelle Paarbeziehungen überhaupt noch zeitgemäß? „Ja! Studien zeigen immer wieder, dass junge Leute sich eine Paarbeziehung wünschen und sehr große Ideale damit verbinden“, erklärt Thomas Mohr. Der psychologische Psychotherapeut ist Leiter der Evangelischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Worms. Dabei hat sich der Diplom-Psychologe auf die systemische Paar- und Familientherapie sowie die Hypnotherapie spezialisiert.
Große Herausforderungen für Paare
Die Realität zeigt, dass neben vielen als schön erlebten Momenten in Partnerschaften vor allem über Vorstellungen von Ordnung, die Smartphonenutzung, Unpünktlichkeit, Finanzen und die Alltagsorganisation gestritten wird – so eine Erhebung von Statista. Psychotherapeut Thomas Mohr hat den Eindruck, dass Belastungen für viele Paare in den letzten Jahren gestiegen sind: Manche werden im Job so vereinnahmt, dass sich Stress und Erschöpfung negativ auf die privaten Beziehungen auswirken. Vor allem sind Paare mit Kindern herausgefordert: „In vielen Familien arbeiten beide Elternteile in Vollzeit, oft auch aus finanziellen Gründen. Dadurch sind Paare vorwiegend mit der Organisation des Haushaltes und der Kinder beschäftigt, gemeinsame Paarzeit geht verloren. Eltern haben das Gefühl als Paar nicht mehr vorzukommen“, erfährt Paartherapeut Mohr.
Schleichender Prozess: Gefühle stumpfen ab, Streitereien häufen sich, Lösungsversuche bringen nicht gewünschten Erfolg
Wenn über eine längere Zeit die Bedürfnisse der Partner nicht erfüllt werden, beginnt ein schleichender Prozess: Die Stimmung wird gereizter, über die Macken des anderen wird nicht mehr liebevoll hinweggesehen, es kommt immer häufiger zum Streit. Auch das Gefühl von Liebe und Zuneigung kann abstumpfen. „Paare bemühen sich oft selbst um Lösungsversuche, die aber teilweise nicht greifen. Ich erlebe, dass die Vorstellung besteht: Wenn sich der andere ändert, wäre alles gut. So ist es aber nicht“ so die Erfahrung von Thomas Mohr. Allerdings befürwortet er sehr, wenn Paare aktiv ihre Beziehung pflegen möchten: „Eine gute Paarbeziehung setzte Kräfte frei! Diese Energie kommt auch den Kindern zugute. Eine unglückliche Beziehung dagegen wirkt sich sehr belastend aus.“
Frühzeitig eine Paarberatung aufsuchen
Wenn Paare bemerken, dass sie allein nicht weiterkommen oder sich eine:r von beiden in der Beziehung unglücklich fühlt, rät Thomas Mohr möglichst frühzeitig ein Coaching oder eine Paartherapie zu beginnen. Wenn der Partner anfangs noch nicht davon überzeugt ist, kann man auch allein eine:n Therapeut:in aufsuchen. Augenzwinkernd unterstreicht er: „Scheuen Sie sich nicht! Ein Auto bringen Sie ja auch wegen einer vermeintlichen Kleinigkeit in die Werkstatt. Oft kommen Paare leider sehr spät in die Beratung, wenn schon viele Verletzungen entstanden sind.“ Glücklicherweise sei es inzwischen salonfähiger geworden, sich Hilfe bei Partnerschaftskonflikten zu holen.
Warnsignale: Was macht eine sogenannte „toxische Beziehung“ aus?
Paare sollten besonders aufmerksam sein und aktiv werden, wenn diese Merkmale häufiger in der Beziehung vorkommen:
- Kritik,
- Verteidigung,
- Verachtung,
- Rückzug und
- Machtdemonstration.
Denn laut dem US-Beziehungswissenschaftler John Gottman sind das die so genannten „fünf apokalyptischen Reiter“, die eine Beziehung zerstören können. „Unglückliche Beziehungen können die Gesundheit gefährden, steigender Blutdruck, Schlafstörungen sind häufige körperliche Folgen“, hat Thomas Mohr erfahren. Manche Partnerinnen oder Partner haben den Eindruck, in einer toxischen Beziehung festzustecken. Thomas Mohr erklärt, dass „toxisch“ kein Fachbegriff aus der Psychologie sei. Die Gefahr sei groß, den Partner als „toxisch“ oder ohne professionelle Diagnose als „Narzissten“ zu bezeichnen. Das könne schnell als beleidigendes und pathologisierendes Urteil wirken. Er empfiehlt stattdessen die „toxische“ Empfindung zu konkretisieren: Durch welche Verhaltensweisen meines Partners fühle ich mich beleidigt? Hintergangen? Dominiert? Gedemütigt?
Beziehung retten? Diese Impulse erhöhen die Chancen:
Auch wenn es momentan ernst in einer Beziehung aussieht: Es gibt Chancen eine Beziehung zu retten, wenn beide die Hoffnung und den Willen haben, wieder zusammenzufinden. Aber teilweise müssen Wartezeiten für einen Paar-Therapieplatz überbrückt werden oder das Paar möchte es erstmal weiterhin selbst versuchen, das Streitmuster zu verändern. Dann empfiehlt Thomas Mohr:
1. Für sich selbst sorgen
Eine Beziehungskrise beeinträchtigt die Lebensqualität und kann auf Dauer krank machen. Deshalb ist es wichtig aktiv zu werden und sich um sich selbst zu kümmern.
2. Gemeinsamkeiten und Stärkendes neu entdecken, Ressourcen aktivieren
Beide Partner können sich daran erinnern, was sie verbindet, was bisher ihre Stärken als Team waren und sind. Was empfinden sie als das Stärkende, Gesunde, Nährende in der Partnerschaft? Wie kann es intensiviert werden? Hier kann das Paar nach einer Methode von Friederike von Tiedemann auf Kärtchen schreiben, was es stärkt, was es verbindet, was die Gemeinsamkeiten sind.
Schließlich können sich beide über die konkrete Umsetzung austauschen und Vereinbarungen treffen evtl. für gemeinsame Spaziergänge, Chill-Out-Momente, Ausflüge, Konzertbesuche, Hobbys, Kirchentagsbesuche usw.
3. Unterschiede akzeptieren
Die Erfahrungen von Thomas Mohr haben gezeigt, dass der Anspruch an eine Beziehung viel zu hoch ist, sich immer einig zu sein und gemeinsam etwas zu tun. Dann kann es dazu kommen, den anderen verändern zu wollen, ihn zu erziehen. „Für eine ständige Einigkeit sind Menschen viel zu unterschiedlich. Deshalb geht es darum: Wie können wir es als Bereicherung erleben, dass wir unterschiedlich sind?“ Das ökumenische Leitmotto „in versöhnter Verschiedenheit“ könne auch auf Paarbeziehungen übertrage werden. Auch hier habe sich ein Ritual von Friederike von Tiedemann als hilfreich erwiesen – sich im Beratungsgespräch klar zu machen: Was zu mir gehört, mich aber von dir unterscheidet.
4. Sich miteinander einstimmen mit unverfänglichen Gesprächen
Frei nach dem Motto der Radiosendung „Wie war der Tag, Liebling?“ sollte das Paar sich zunächst auf unverfängliche Themen konzentrieren. „Am besten nach der Arbeit bei einer Tasse Tee. Denn beide kommen gerade mit unterschiedlichen Erfahrungen nach Hause und haben so Zeit, sich wieder aufeinander einzustimmen.“ Sie können darüber sprechen, was sie tagsüber erlebt und empfunden haben.
5. Pfadfinderübung: Jeden Tag eine gute Tat
Das Pfadfindermotto „Jeden Tag eine gute Tat“ können Paare auch auf ihre oder ihren Lieblingsmenschen beziehen. Jeder kann sich überlegen, worüber sich der andere freuen würde. Dabei geht es um Kleinigkeiten wie den Lieblingstee kochen, einen Blumenstrauß mitbringen oder eine liebevolle Umarmung.
6. Partner:in besser kennen lernen
Laut Thomas Mohr stärkt es auch die Verbindung, sich darüber auszutauschen, was beide essentiell bewegt: Was beschäftigt sie wirklich? Was sind seine Wünsche? Was sind ihre Träume?
7. Eigene Bedürfnisse an die Partnerschaft wahrnehmen
Wenn man sich weniger wohl in der Beziehung fühlt, empfiehlt Paarberater Mohr, hinzuschauen und sich diese zentrale Frage zu stellen: Welches Bedürfnis wird in der Beziehung nicht erfüllt?
Beispielsweise:
- Wünsche ich mir mehr Wertschätzung?
- Wünsche ich mir mehr entspannte Momenten?
- Wünsche ich mir mehr Entlastung und Unterstützung? Fühle ich mich überlastet, z.B. durch Haushalt und Erziehung?
- Wünsche ich mir mehr Nähe?
- Wünsche ich mir mehr persönlichen Freiraum?
- Wünsche ich mir mehr gemeinsamen Unternehmungen?
8. Zerstörerische Streitmuster wahrnehmen
Die oder der Partner:in sollte darauf achten, wenn im Gespräch die fünf apokalyptischen Reiter (Kritik, Verteidigung, Verachtung, Rückzug und Machtdemonstration) oder Rechthaberei, Vorwürfe und zunehmende Lautstärke sich bemerkbar machen.
9. Streitmuster schnellstmöglich unterbrechen
Mit einem „Stopp“ sollte eine destruktive Diskussion möglichst schnell beendet werden. Vor allem am Anfang ist es eine Herausforderung, einzuschreiten. In einer Paartherapie kann anfangs an diesem Punkt die oder der Therapeut:in einschreiten und damit den Prozess unterstützen.
10. Respektvoller Austausch über Streitthemen – eine Absage an Rechthaben wollen
Nach einer Pause und Beruhigung sollten die Partner miteinander über das Streitthema respektvoll sprechen. Einer der Partner sollte in Ich-Botschaften die eigenen Gefühle und Sichtweise mitteilen. Das heißt: Vorwürfe möglichst vermeiden, stattdessen Wünsche der Partnerin oder dem Partner mitteilen.
Die oder der andere hört ausschließlich zu. Es soll sichergestellt werden, dass die zuhörende Person die Aussagen des anderen auch richtig verstanden hat. Wesentlich ist, die Aussagen des Gegenübers nachzuvollziehen und anzuerkennen. Keinesfalls sollen sie abgewertet und kritisiert werden.
Hilfreich ist, sich in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen.
11. Ritual: Heilung für emotionale Verletzungen anstoßen
Größere oder kleinere emotionale Verletzungen kommen in jeder Beziehung vor. Die Beziehung kann wieder in Balance mit einer Entschuldigung und deren Annahme kommen. Wenn sich Menschen aber beleidigt, betrogen, hintergangen oder bloßgestellt fühlen, geht das Vertrauen in den anderen verloren. Die Verletzung wirkt im Hintergrund der Partnerschaft ungünstig weiter, wird vielleicht ständig thematisiert.
Aber auch dann gibt es Chancen, wieder zueinander zu finden. Doch die als verletzend empfundenen Ereignisse sollten dann genauer angeschaut werden, es braucht Zeit, um das Vertrauen wiederherzustellen. Hier empfiehlt Thomas Mohr das „Verletzungsritual“, das Frederike von Tiedemann entwickelt hat.
Auf eine Karte schreiben:
„Was mich verletzt hat und immer noch weh tut …“ Für jeden Punkt sollte eine eigene Karte verwendet werden.
Aufarbeiten:
- ehrlich das Ereignis ansprechen, eigentliche Absicht erklären, Wirkung rückmelden
- verstehen,
- wahrhaftig anerkennen,
- fragen, was der andere noch braucht um verzeihen zu können,
- um Verzeihung bitten, wenn eine echte innere Bereitschaft entstanden oder vorhanden ist,
- Verzeihung gewähren, wenn es als wahrhaftig stimmig empfunden wird,
- Wiedergutmachung oder neue Absprachen vereinbaren,
- Wiedergutmachung oder neue Absprachen umsetzen,
- reflektierendes Gespräch.
Beiseite legen:
Nach der Aufarbeitung kann die Karte zerrissen werden, damit wird der Vorwurf symbolisch beiseitegelegt.
Exkurs: Die Affäre
Ein häufiger Trennungsgrund und Anlass eine Paarberatung aufzusuchen, ist das Fremdgehen. Paartherapeut Thomas Mohr hat aber auch erfahren: „Eine Affäre muss kein Sargnagel für die Beziehung sein.“ Denn eine Affäre sei häufig ein Symptom für Unzufriedenheit in der Partnerschaft, nicht die eigentliche Ursache. „Wer eine Affäre eingeht, hat sich zwar kurzfristig eine gute Stimmung verschafft. Aber statt das dahinterliegende Problem zu lösen, ist ein weiteres entstanden“, so die Einschätzung von Thomas Mohr. Wenn ein Paar die Affäre sowie deren Ursachen aufarbeite, bestehe durchaus die Chance, dass es wieder zueinander findet. Der christliche Glaube könne dabei unterstützen, den Schritt in eine Affäre erst gar nicht zu unternehmen. Gefreit vor Beziehungsprobleme sind Gläubige allerdings so wenig wie atheistisch eingestellte Menschen. Dennoch könne der christliche Glaube dazu beitragen, das Verantwortungsfühl für die Partnerschaft zu stärken.
Trennung – ein letzter Ausweg
Trotz intensiver Bemühungen kann es vorkommen, dass sich Partner weiterhin unglücklich in der Beziehung fühlen. Möglicherweise nehmen sie nichts Stärkendes mehr im Zusammensein wahr. „Vor allem wenn einer der beiden schon für sich entschieden hat zu gehen, ist eine Trennung selten vermeidbar“, berichtet Thomas Mohr. Dann gehe es drum, dass der andere die Entscheidung akzeptiert und der der Trennungsprozess fair gestaltet wird.
Was macht eine gute Beziehung aus?
Aber soweit muss es nicht kommen. Viele, die ihre Partnerschaft weiter pflegen können und wollen, fragen sich vielleicht: Was macht eine gute Beziehung aus? Denn eventuell konnten die eigenen Eltern kein gutes Beziehungs-Vorbild sein. Oder ein perfekt erscheinendes befreundetes Paar gab überraschend die Trennung bekannt. „Pauschal kann man das kaum sagen. Beziehungen sind enorm vielfältig. Aber einige Signale können auf eine gute Basis der Beziehung hindeuten.“ Das können sein:
- Gemeinsamkeiten pflegen,
- Zuneigung zueinander empfinden und freundschaftliche Gefühle hegen,
- Wertschätzung für die oder den andere:n empfinden,
- die Meinung der oder des anderen gelten lassen,
- nährende Verhaltensweisen: Geduld, Mitgefühl, Mitfreude, Dankbarkeit, Gemeinschaft, Kooperation, Wohlwollen,
- Versöhnung nach einem Streit.
Paare, die sich in dieser Beschreibung noch nicht ganz wiederfinden, ermutigt Thomas Mohr: „Überwinden Sie Ihre Skepsis, werden Sie aktiv und suchen Sie sich eine Beraterin, einen Coach oder eine Therapeutin, die oder der in der Arbeit mit Paaren erfahren genug ist. Vertrauen Sie darauf, dass Sie in Ihrem Veränderungswunsch als Paar nicht parteilich und lösungsorientiert begleitet werden.“
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