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8 Tipps für den Umgang mit Existenzängsten
veröffentlicht 28.11.2023
von Rita Haering
Gestiegene Lebenshaltungskosten, Kriege und der Klimawandel machen immer mehr Menschen zu schaffen. Wie können wir mit Existenzsorgen umgehen?
Vor steigenden Lebenshaltungskosten haben laut "Statista" die meisten Deutschen Angst. Dazu gehört auch die Sorge, dass Wohnraum unbezahlbar wird. Zusätzlich können Nachrichten über Stellenabbau verunsichern. Auch aufgrund der Folgen der Kriege empfinden einige Menschen Ängste. Daneben rüttelt der augenscheinliche Klimawandel am Sicherheitsempfinden vor allem jüngerer Menschen. Pfarrerin Bettina Klünemann von der Evangelischen Flughafen-Seelsorge in Frankfurt am Main kennt diese Sorgen. Sie hat viele Mitarbeitende begleitet, als sie vom Arbeitsplatzabbau in der Luftfahrtbranche betroffen waren. Bettina Klünemann möchte ihre Erfahrungen und Empfehlungen im Umgang mit Existenzsorgen weitergeben.
Tipp 1 – Reden erleichtert
„Sprechen Sie über das, was sie gerade erleben, möglichst offen“, empfiehlt Flughafen-Seelsorgerin Bettina Klünemann. Es sei heilsam, die Sorgen mit anderen zu teilen. Sie ermutigt: „Sprechen sie aus, was Sie nicht schlafen lässt.“ Eine weitere Möglichkeit sei es, die eigenen Gedanken aufzuschreiben und eventuell an einen Freund zu schicken. Ansprechpartner können Familie und Freunde sein, aber auch vertrauenswürdige Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte oder der Betriebsrat.
Tipp 2 – Schuld und Scham die rote Karte zeigen
Die Sorge um die eigene Finanzlage oder um den Arbeitsplatz kann manchmal unangenehme Gefühle wie Schuld und Scham auslösen. Die Seelsorgerin stärkt hier klar den Rücken der Betroffenen: „Wer harte Einschnitte durch gestiegene Lebenshaltungskosten spürt oder von möglichem Stellenabbau betroffen ist, sollte sich klarmachen: Es ist nicht die eigene Schuld, dass man persönlich in eine solche Krise geraten ist.“ Auch wenn der Arbeitsvertrag nicht verlängert wurde, „braucht man sich nicht zu schämen.“
Tipp 3 – Ausstieg aus dem „Gedankenkarussell“ bei Sorge um Klima und Krieg
Klimakrise und Krieg sind reale Gefahren für uns. "Angst davor zu haben, ist also etwas völlig Normales", betont die Seelsorgerin. Aber wer angesichts dieser Bedrohungen keine Ruhe mehr finden kann, sollte sich diesen Ängsten bewusst stellen und fragen: Was macht mir konkret Angst? Was befürchte ich für mich, meine Familie? Sie erklärt: "Sich diesen Fragen zu stellen, statt sie zu vermeiden, hilft, Ängste einzugrenzen. Außerdem werden dann auch konkrete Wege sichtbar, wo wir Verantwortung übernehmen können." Zum Beispiel für eine nachhaltigere Gestaltung unseres Alltags. Nicht zuletzt gelte es, den eigenen Medienkonsum kritisch unter die Lupe zu nehmen und eventuell nachrichtenfreie Zeiten einzuhalten. Ein „Zuviel“ an Nachrichten macht es schwer, den Blick für die eigenen Handlungsmöglichkeiten frei zu haben. Es gilt also: sich selbstbestimmt informieren und damit einen „Dauerkonsum“ von Schreckensnachrichten vermeiden.
Tipp 4 – Zeit für schöne Aktivitäten und Momente nehmen
„Es ist gut, in diesen Krisenzeiten zu überlegen, was einem bisher Kraft im Leben gegeben hat: Ob das die Familie oder der Hund ist, der Sport, die Ausflüge in der Natur, in Ruhe etwas Leckeres kochen oder, oder“, ermutigt Seelsorgerin Bettina Klünemann. Sie empfiehlt, sich bewusst für schöne und Energie spendende Aktivitäten Zeit zu nehmen: „Das schafft positive Inseln im Alltag, die ausstrahlen.“ Zudem gebe es Auftrieb, wenn man merkt, „dass man für sich selbst etwas tun kann. Und wenn jeden Tag auch Platz ist für Lachen oder Momente der Zufriedenheit.“
Tipp 5 – Glaube: Mit Gottvertrauen den Ängsten begegnen
Einer der Lieblingsverse aus der Bibel von Seelsorgerin Klünemann steht im 2. Timotheusbrief: „Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Das zu leben, gelingt nicht jeden Tag. Aber für sie ist das eine tolle Zusage, dass Gott die Menschen mit diesem Geist beschenkt hat. Außerdem bedeutet für sie der Glaube, dass sie ihre Grenzen akzeptiert. Sie erklärt: "Ich bin auf andere und auf Gott angewiesen. Um etwas zu bitten, gehört einfach zum Leben als Christ:in dazu." Vielleicht könne konkret zur guten Alltagsroutine werden, sich ein paar Minuten bewusst Zeit zu nehmen für Stille oder Gebet, um dem Geist der Kraft, Liebe und Besonnenheit Raum zu geben und das eigene Gottvertrauen gerade jetzt zu stärken.
Tipp 6 – Sich einen Ruck geben und aktiv werden
Selbst wenn Geldmangel und/oder ein befürchteter Arbeitsplatzverlust eintreten, ermutigt Flughafen-Pfarrerin Klünemann: „Es gibt viele Wege, über die Menschen Unterstützung bekommen können.“ Allerdings appelliert sie auch an die Eigeninitiative: „Es ist wichtig, sich dafür auf den Weg zu machen, denn nicht alles wird einem vor die Füße fallen.“ Bettina Klünemann weist darauf hin, dass man auch gemeinsam mit anderen Menschen Unterstützung suchen und finden könne. „Wenn gegenseitig zum Beispiel Tipps ausgetauscht werden, können unerwartet neue Perspektiven auftauchen“, so die Pfarrerin. Zudem suchen bestimmte Branchen dringend Personal, beispielsweise gibt es Qualifizierungsprogramme für die Mitarbeit in Kindertagesstätten. In der EKHN können die Psychologischen Beratungsstellen und die Flughafenseelsorge eine Anlaufstelle sein. Bei drohendem Stellenabbau ist die Arbeitsagentur eine wichtige Anlaufstelle. Auch Diakonie und evangelische Kirche bieten weitere Hilfen und Perspektiven an:
TIPP 7 – Enttäuschung und Trauer zulassen
Auch aktuelle Alltagserfahrungen können Verlusterfahrungen sein, die Betroffenheit auslösen. Z.B. wenn das Geld plötzlich nicht mehr für den normalen Einkauf oder eine Waschmaschinen-Reparatur reicht. Wenn dann sogar der gewohnte Arbeitsplatz umstrukturiert wird oder wegbricht und die Kolleginnen und Kollegen fehlen, mit denen man sich bisher gut verstanden hat, wird den Betroffenen viel abverlangt. Seelsorgerin Klünemann empfiehlt: „Die ganze Enttäuschung und Trauer, die mit solchen Verlusten und den eigenen Erwartungen an sich selbst zusammenhängen, wollen ernst genommen werden.“
Tipp 8 – Belastungen und Probleme sortieren - auch mit professioneller Unterstützung
Gerade jetzt erleben evangelische Seelsorger immer wieder: Neben den aktuellen Existenzsorgen erzählen die Menschen von weiteren Problemen, die sie zusätzlich belasten. Gesundheitliche Probleme und / oder Krisen in Partnerschaft und Familie machen sich immer stärker bemerkbar, sie lassen sich jetzt kaum noch wegstecken. Deshalb empfehlen die Flughafenpfarrerin und ihre Kollegen: „Wer von mehreren Krisen betroffen ist, sollte sich alle „Baustellen“ nach und nach ansehen und wahrnehmen. Gut ist, wenn sich Betroffene dafür professionelle Unterstützung holen.“ Auf den Tisch bringen und sortieren, lautet die Devise. Denn wenn erst einmal das „Krisenknäuel“ entwirrt sei, erlebten Betroffene oft eine große Erleichterung. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger ermutigen: „Denn dann merkt jede und jeder, wieviel machbar ist.“
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