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Arbeitslos: So funktioniert Hilfe zur Selbsthilfe
veröffentlicht 03.03.2025
von Dr. Julia Dinkel, Margit Befurt, Online-Redaktion der EKHN
Leistungskürzungen und Sanktionen für Bürgergeld-Empfänger prägen die politische Debatte. Hier berichten Menschen ohne bezahlte Arbeit aus erster Hand, welche Unterstützung ihnen wirklich hilft.
In der Bundespolitik geht es immer wieder um Vorschläge, die Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld durch verschärfte Regelungen wieder in Arbeit bringen sollen oder sie zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten wollen. Wie wirken diese Ideen auf Menschen, die arbeitslos sind? Dr. Julia Dinkel und Margit Befurt aus dem Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN (ZGV) haben nachgefragt. Julia Dinkel ist Referentin für Arbeit und Soziales im ZGV, Margit Befurt ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.
Mit arbeitslosen Menschen sprechen – statt über sie
Marianne Neisser* Henning Kessler* und Steffen von Wiesner* beziehen oder bezogen Bürgergeld und engagieren sich ehrenamtlich bei der „Hilfe im Nordend“ (HIN), einer kirchlichen Initiative in Frankfurt am Main.
Marianne Neisser ist Volljuristin und hat in ihrem Beruf als Angestellte und als Selbstständige gearbeitet. Steffen von Wiesner ist Webentwickler und arbeitet seit zwei Jahren als Referent für Fortbildung und IT bei der HIN. Und Henning Kessler war früher in der Modebranche tätig, hatte ein eigenes Modegeschäft und arbeitete zuletzt in der Hotelbranche.
Vorurteile treffen auf Realität
Alle drei Gesprächspartner betonen, dass es schmerzlich für sie sei, dass immer noch die Stereotype von den faulen Erwerbslosen, die ja nicht arbeiten wollen und am liebsten in der sozialen Hängematte liegen, in der öffentlichen Debatte ebenso wie am Stammtisch bedient werden. „Niemand fragt danach, ob die Bürgergeldempfänger beispielsweise aufgrund einer Krankheit überhaupt noch arbeiten können oder dass sich gerade in einer Stadt wie Frankfurt, vom Bürgergeld nicht gut leben lässt. Wie soll man vom Bürgergeld gesund leben und sich ernähren oder Sport treiben?“, so Henning Kessler Für Steffen von Wiesner ist es ärgerlich, dass „nicht mit uns, sondern wieder nur über uns gesprochen wird“. Marianne Neisser ergänzt: „Wenn das Selbstbewusstsein aufgrund von Arbeitslosigkeit im Keller wohnt, treffen einen die Stereotype umso mehr, aber man muss einen Weg finden, damit umzugehen“. Die freiwillige Mitarbeit bei der HIN hilft dabei.
Ehrenamtliches Engagement war „glückliche Fügung“
Für die Entwicklung eines neuen Selbstwertgefühls war für alle drei die Hilfe im Nordend (HIN) sehr wichtig. Durch die offene und vorurteilsfreie Stimmung wurden sie schnell „heimisch“ und fanden den Raum, sich mit ihren Stärken einzubringen. Henning Kessler spricht von einer „glücklichen Fügung“, die ihn dazu brachte, sich bei der HIN ehrenamtlich zu engagieren. Er fand im Hilfsdienst von HIN bei der Alltagsbetreuung von drei älteren Menschen einen neuen Sinn für sein Leben. Für mehrere Stunden in der Woche hilft er beim Einkaufen, begleitet die Menschen zu Ärzten oder zum Friseur, hilft beim Sauberhalten der Wohnung oder nimmt sich einfach Zeit zum Reden. „Es macht mir so viel Spaß. Ich sehe die Veränderungen an den Personen. Waren sie zuvor verschlossen und einsam, gehen sie heute wieder unter Menschen. Und das zu sehen tut mir richtig gut und ich bin sehr stolz darauf.“ Mittlerweile macht Henning Kessler eine Ausbildung zur Betreuungskraft und wird danach in diesem Beruf arbeiten.
Selbstbewusstsein durch Ausprobieren und Aktivitäten stärken
Marianne Neisser engagiert sich bei der HIN im Kino-Projekt und ist u.a. Mitautorin der Jahresberichte und der Homepage des Vereins. Für sie ist ihr ehrenamtliches Engagement eine Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und Talente sinnstiftend einzusetzen und auf eine Weise zu reaktivieren, die es ihr ermöglicht, sich auf dem Arbeitsmarkt wieder selbstbewusst zu präsentieren. „Meine Texte sind gut, sie werden veröffentlicht und bringen für die HIN einen Mehrwert. Das verschafft mir einen geraden Rücken“. Für Steffen von Wiesner war sein Engagement bei der HIN ein Steigbügelhalter für den Schritt in Richtung Selbstständigkeit als IT-Berater und Webentwickler. Mit Zeit, Raum und Geduld konnte er sich bei der Hilfe im Nordend ausprobieren und entdeckte sein kreatives Potenzial wieder. „Durch HIN weiß ich wieder was ich kann und es stärkt mich dahingehend, dass ich weiß, dass Stereotype über Erwerbslose nicht auf mich zutreffen“.
Betroffene ernst nehmen und unterstützen
Helmut van Recum, Vereinsleiter und Koordinator bei der HIN, unterstützt die Besucherinnen und Besucher der Hilfe im Nordend darin, sich in unterschiedlichen Arbeitsfeldern auszuprobieren, neue Erfahrungen zu sammeln und zusätzliche Qualifikationen zu erwerben.
„Wir vertrauen ihnen und unterstützen sie dabei, ihre Pläne umzusetzen. Für uns bei HIN ist es positiv zu sehen, wie das ehrenamtliche Engagement erwerbslosen Menschen helfen kann. Und die Hilfe im Nordend hat durch den Hilfsdienst und Projekte wie „Cineasten on Tour“ einen festen Platz im Gemeinwesen des Frankfurter Nordends.“
* Die Personen sind der Redaktion bekannt. Ihre Namen wurden zum Schutz der Person geändert.
Hilfe im Nordend (HIN)
Die Hilfe im Nordend ist ein sozialdiakonischer Verein der Luthergemeinde in Frankfurt am Main. Dieser besteht seit über 30 Jahren und fördert und stärkt erwerbslose Menschen darin, ihre Fähigkeiten zu erkennen und Perspektiven für sich zu entwickeln und sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Angebote von HIN reichen von beruflicher Bildung und Coaching über psychosoziale Beratungsgespräche bis hin zu Beschäftigung im Hilfsdienst für Senior*innen aus dem Stadtteil. HIN wird bisher von der Evangelischen Luthergemeinde getragen und von der Stadt Frankfurt, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und von Spenderinnen und Spendern gefördert.
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