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Weihnachtsgeschichten
veröffentlicht 12.12.2021
von Heike Gels
Verschiedene Weihnachtsgeschichten für Kinder und Erwachsene
Das Evangelium nach Matthäus
Jesu Geburt (Kapitel 1)
18 Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist.
19 Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen.
20 Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist.
21 Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.
22 Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14):
23 »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.
24 Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.
25 Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.
Die Weisen aus dem Morgenland (Kapitel 2)
1 Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen:
2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.
3 Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem,
4 und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte.
5 Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1):
6 »Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.«
7 Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre,
8 und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr's findet, so sagt mir's wieder, dass auch ich komme und es anbete.
9 Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war.
10 Als sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut
11 und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.
12 Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem andern Weg wieder in ihr Land.
Die Flucht nach Ägypten
13 Als sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir's sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.
14 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten
15 und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Hosea 11,1): »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.«
Der Kindermord des Herodes
16 Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte.
17 Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht (Jeremia 31,15):
18 »In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.«
Die Rückkehr aus Ägypten
19 Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum in Ägypten
20 und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und zieh hin in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kindlein nach dem Leben getrachtet haben.
21 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich und kam in das Land Israel.
22 Als er aber hörte, dass Archelaus in Judäa König war anstatt seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und im Traum empfing er Befehl von Gott und zog ins galiläische Land
23 und kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazoräer heißen.
Das Evangelium nach Lukas
Jesu Geburt
1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.
2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.
3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.
4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,
5 damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.
6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.
7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.
9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.
10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;
11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.
12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.
13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.
16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.
17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.
19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.
21 Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war.
UFO-Kontakt
Die Nachricht verbreitet sich in Windeseile: Ein unbekanntes Flugobjekt nähert sich der Erde. Nach den neuesten Berechnungen der NASA wird es genau an Heiligabend die Erde erreichen. Was da heranrast, ist kein weihnachtlicher Komet, sondern vollkommen dunkel, aber auch kein Meteorit, denn die Weltraumbehörde hat Lenkbewegungen festgestellt. Da sitzt jemand drin! Also haben die Ufologen doch recht! Diese Verrückten, die uns seit Jahrzehnten weismachen wollen, wir würden ständig von unbekannten Flugobjekten beobachtet, von grauenhaften Wesen aus dem Weltraum. Der Weltuntergang steht bevor. Und es kann sich nur noch um Stunden handeln!
Wie erwartet man den Weltuntergang? In Buße und im Gebet? Nein. Acht Milliarden Menschen wimmeln kopflos über den Planeten. Kein Mensch will einen Weihnachtsbaum kaufen. Niemand singt „Stille Nacht“. Die Sekten haben Zulauf wie noch nie. Die Zeugen Jehovas fühlen sich bestätigt. Alle zur Verfügung stehenden Waffen werden zusammengezogen. Auf einmal sind sich alle einig: Der Feind kommt von außen.
Und das Beunruhigendste ist: Es ist ein einzelnes Flugobjekt – und es ist noch nicht einmal besonders groß. Welche ungeheure Kraft muss in ihm stecken! Während an der berechneten Landestelle die modernsten Waffen in den Himmel starren, sitzt der Präsident am roten Knopf und zittert. Unter ohrenbetäubendem Lärm und inmitten einer gewaltigen Staubwolke sinkt das UFO zur Erde. Von irdischen Raketen umzingelt, öffnet sich langsam eine Luke. Unförmige Gestalten in Raumanzügen kommen heraus.
Sie sind zu dritt. Da wird es ganz still. Und eine etwas fremdartige Stimme
tönt zu den Menschen herüber:“
„Wir haben einen Stern gesehen und sind hergekommen, den neugeborenen König zu suchen. Nach unseren Berechnungen ist er mitten unter euch.“
Von Hans Genthe
Durch den Schornstein oder durchs Fenster?
„Stille Nacht, heilige Nacht“, sang die Gemeinde zum Abschluss des Gottesdienstes. Die Schafe und Hirten kauerten dazu friedlich vor der Krippe. Maria und Josef schauten stolz in die Menge.
Nach dem feierlichen Gottesdienst stiefelte die Familie einträchtig durch den Nieselregen nach Hause. In diesem Jahr war die Land-Oma zu Besuch. Sie lobte die Kinder überschwänglich für ihr „wunderbares“ Spiel und bedachte beide wortreich mit Komplimenten. Das gefiel Julia, der älteren Schwester von Max, überhaupt nicht. „Du hast zwei Mal falsch gemäht“, tadelte sie ihren Bruder. „Stimmt überhaupt nicht“, widersprach er und hielt ihr entgegen, Schafe würden ja in echt wohl auch nicht alle zur selben Zeit mähen. Und überhaupt sei sie eine doofe Hirtin und hätte dauernd dumm gegrinst. Bevor die Kinder weiter streiten konnten, schloss der Vater die Eingangstür zur Wohnung auf.
Die Land-Oma kochte sofort einen Kakao, setzte sich mit den Kindern in die Küche und lauschte Weihnachtsliedern aus dem Radio. In der Zwischenzeit wollten die Eltern das Wohnzimmer vorbereiten. Um die Zeit zu überbrücken, erzählte die Land-Oma mit Nachdruck, grade bringe das Christkind die Geschenke ins Wohnzimmer. „Deswegen warten wir noch ein Weilchen, bis es fertig ist“, fügte sie hinzu. „Und wie kommt es da rein?“, wollte Max prompt wissen. „Na, durch das Fenster natürlich“, antwortete die Land-Oma sofort. „Kann das Christkind denn fliegen?“, fragte er verwundert. „Aber sicher, das Christkind kann einfach alles.“
In diesem Moment klingelte das Telefon. Carl, Max bester Freund, rief an. „Was, du wartest auch? Ist ja voll blöd.“ Vielleicht vertauscht das Christkind jetzt unsere Geschenke und ich kriege den blöden Schlitten, schoss es Max durch den Kopf. „Was! Echt, bei dir kommt der Weihnachtsengel?“ Als bei Carl ein Glöckchen ertönte, musste er das Telefonat beenden. „Oma, wieso kommt beim Carl der Engel und bei mir das Christkind?“ „Na, mein Kleiner, das Christkind braucht doch Hilfe. Es kann doch nicht zur selben Zeit alle Kinder beschenken“, antwortete Oma aus tiefster Überzeugung. „Ist doch alles Blödsinn“, warf Julia schnippisch ein. „Die Stadt-Oma sagt immer, dass die Geschenke vom Weihnachtsmann gebracht werden. Der kommt durch den Kamin in jedes Haus!“ „Oh je“, jammerte Max, „über uns wohnt der doofe Olaf. Bleibt der Weihnachtsmann mit meinem neuen Mountainbike stecken, dann kriegt er mein Fahrrad.“ „Und meine Heizdecke wäre auch zu dick für ´n Schornstein. Nee, nee, das ist nur so ´n amerikanischer Quatsch“, erwiderte die Oma. „Du hast ja keine Ahnung“, fauchte Julia dazwischen. „In England oder Schweden kommt auch der Weihnachtsmann, sogar mit Schlitten und Rentieren.“ „Mein Rad passt nur durchs Fenster. Und deshalb kommt bei uns das Christkind“, bestimmte Max.
Der Streit wurde heftiger, der Land-Oma gingen langsam die Argumente aus. Endlich ertönte das lang ersehnte „Klingeling“ aus dem Wohnzimmer. Die Tür öffnete sich, die Kinder und die Land-Oma betraten das dunkle Zimmer. Nur ein geschmückter Tannenbaum mit echten Kerzen erhellte den Raum. Auf dem Gabentisch stapelten sich kleine und große Päckchen. Daneben stand ein Fahrrad verziert mit einer großen roten Schleife. „Bevor wir die Geschenke auspacken, wollen wir gemeinsam singen und uns darüber freuen, dass Jesus geboren wurde. Das ist so, als hätten wir heute alle Geburtstag. Und deshalb gibt es Geschenke für jeden von uns. Damals brachten die Heiligen Drei Könige die Geschenke mit, heute beschenken wir uns gegenseitig.“
Nach Mamas kurzer Rede startete Papa die CD und alle sangen wieder „Stille Nacht, heilige Nacht“.
Von Erika Richter
Große Erwartung
Viele Menschen nehmen sich nicht wirklich Zeit um mir zuzuhören und manche Menschen wollen mir überhaupt nicht zuhören. Vielleicht liegt das daran, dass ich eine Weihnachtskugel bin.
Es geschah in diesem Jahr, als ich, wie in den vielen Jahren zuvor, vom kalten Speicher, ins warme Wohnzimmer getragen wurde. Ich muss vielleicht noch erwähnen, dass ich in einer großen Schachtel, eingepackt in weichem, seidenem Papier lag. Neben mir noch unzählig andere Kugeln und Figuren aus Holz. Zuerst bebte der ganze Boden. Die Menschen zogen die schwere Treppe, die immer fein säuberlich nach oben geklappt wurde, zu sich hinunter. Dann ging das winzige Licht, an der viel zu niedrigen Decke an und ein lautes Stöhnen war zu vernehmen. Es kam von dem Menschen, der sich durch die enge Luke zu mir nach oben gezwängt hatte.
Ich erinnere mich noch sehr genau, wie dieser Mensch mindestens zwanzig Mal im Jahr zu mir und den vielen abgestellten Gegenständen heraufkletterte. Er war immer gut gelaunt. Im Sommer, wenn es sehr heiß war und die Luft um uns herum zu stehen schien, dann war dieser Mensch voller Freude, als er die zwei mächtigen Koffer mit hinunter nahm. Oder ich denke an die kalten Monate, als der Mensch seine Skier mit sich nahm. Auch im Frühling freute er sich, wenn er die Gartenstühle und ihre Bezüge vom Speicher holte. Immer, ja immer freute er sich und war gut gelaunt.
Doch es gibt eine Jahreszeit und ich möchte behaupten, dass es immer dieselbe Jahreszeit ist, in der die Menschen anders sind. Also ich meine die Zeit, wenn der Mensch kommt, um gerade mich und die vielen Figuren zu holen. Er freute sich nie, sondern brummelte irgendwelche unverständlichen Worte. Im letzten Jahr warf er meinen Karton sogar die steile Treppe hinunter und schubste ihn dann auch noch mit seinem Fuß den langen Gang bis in seine Wohnung.
Oh, ich vergaß es zu erwähnen. Entschuldigen Sie meine Verwirrtheit, denn dieser Mensch hat ja einen Namen. Seine Begleiterin ruft ihn immer „Paul“ und Paul ruft seine Begleitung immer „Nora“. Eigentlich mag ich Nora. Zumindest dann, wenn sie mich mit Tränen in den Augen anblickte. Doch dazu später.
Paul trug also meine Kiste, wenn er sie nicht warf, ins Wohnzimmer. Ich spürte immer einen enormen Druck auf mir. Wahrscheinlich hatte er eine andere Kiste auf meiner Schachtel abgestellt. Dann endlich nach vielen drückenden Stunden und lautem Geschrei der Menschen, öffnete sich der Deckel meiner Schachtel. Ich wurde vorsichtig herausgehoben. Nora wickelte mein schon altes, aber dennoch feines Papier ab und hielt mich in ihrer warmen Hand. Ich sah immer einen wässrigen Glanz in ihren Augen, wenn sie mich mit einem feuchten Lappen abwischte. Und Paul? - Paul tobte wie in jedem Jahr von Zimmer zu Zimmer.
Ich verstehe es bis heute noch nicht, warum sich die Menschen streiten müssen. Nun ja, ich sehe es ja ein, wenn ein Mensch denkt, dass gerade sein Weihnachtsbaum krumm ist. Doch bei Paul war dies nicht auszuhalten. Er hatte diesen Tannenbaum wohl gerade erst gekauft und aufgestellt, doch wie in jedem Jahr nörgelte er an dessen Form und Farbe rum. Zu schief, nicht so dicht, krumm, riecht komisch und sieht irgendwie nicht nach Tanne aus. Nora und ihre Kinder, saßen still auf dem Sofa und regten sich nicht. Paul hingegen tobte durch die Zimmer und verfluchte den Verkäufer. Es war wie in jedem Jahr. Laut und hektisch ging es zu und ich wusste genau, dass es auch anders gehen konnte, denn ich bin schon eine sehr alte Weihnachtskugel und hing schon an Omas Weihnachtsbaum. Dieser besonnene Mensch nahm mich immer mit Bedacht aus der Schachtel und dann begann für mich eine sehr ruhige und mit Plätzchenduft erfüllte Zeit. Als ich Paul so schreien hörte, platzte mir fast der Lack von der Wölbung. Denn was würde er wohl an mir auszusetzen haben?
Zu alt? Keinen Glanz mehr? Brüchig, oder nicht mehr modern? - Schnell verdrängte ich diese Gedanken, denn Nora mochte uns alte Kugeln. Aber mit mögen war es noch nicht getan, denn auch Nora war in dieser Zeit anders. Sie hetzte wie alle Menschen in diesen letzten Tagen, vor dem besagten „Weihnachten“ hin und her, schleppte viele Einkaufstüten mit nach Hause, um diese Dinge dann wieder in ein schönes Papier zu wickeln. Meistens wurden diese eingepackten Sachen bis zum „Weihnachtsfest“ irgendwo im Haus versteckt.
Die Menschen hatten in diesen Tagen nie Zeit und auch in diesem Jahr, waren alle in Hektik. Zeit hatten sie weder für sich, noch für den anderen. Paul schrie und tobte durchs Haus, suchte Stromzuleitungen für den Tannenbaum und für die Weihnachtsbeleuchtung im Garten. Oder wie Paul hinter seinem Vorhang stand um in Nachbars Garten zu schielen, nur um zu sehen, ob der Nachbar vor Neid erblasste, weil ja Paul die beste Beleuchtung in der ganzen Strasse hatte. Aber auch die viel bedächtigere Nora wusste nicht wie sie in der kurzen Zeit, die ihr noch bis zum „Weihnachtsfest“ blieben, mindestens acht verschiedene Plätzchensorten, Weihnachtskuchen und Stollen, backen sollte. Ebenso stellte sie sich immer wieder die Frage, ob sie auch alles Silberbesteckt poliert hatte, die Gläser nochmals durchgewaschen und ob die Fenster, die sie gerade geputzt hatte, nicht bis zum „Weihnachtsfest“ wieder verregnet sein würden.
Ich verstehe die ganze Aufregung nicht und begreife auch nicht, welch hohe Erwartungen die Menschen in gerade diese Zeit setzen. Ich weiß, dass dies ein sehr hohes Fest ist und ich weiß, dass an jenem Weihnachtsabend eine winzige Krippenfigur in die kleine Krippe gelegt wird. Doch ich weiß auch, dass es immer an genau diesem Abend in der Familie kracht. Paul schreit, streitet sich mit der Tante. Nora weint und die Kinder finden nicht das richtige Geschenk unterm Baum. Ein totales Chaos im Glanz der Kerzen und zu den Klängen von Geigen und Trompeten. Ich habe immer Angst, wenn ein falsch geschenkter Schuh, oder ein nicht gewünschtes Geschenk durch den Raum fliegt, denn ich bin ja aus Glas. Ich sehne mich wieder nach den langen Monaten in meiner Kiste. Oben im Speicher, neben dem ganzen alten Kram.
Von Stefanie Bernecker
Bedenk, wenn du singst
Macht hoch die Tür, die Tore weit, sangen sie in der niedrigen Stube, und einer der jungen Leute hielt eine brennende Kerze. Es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, sangen sie und eine alte verwitterte Frau hörte zu. Ein Heiland aller Welt zugleich, der Heil und Leben mit sich bringt, sangen sie und eine junge Frau strich sich mit schmutzigen Händen über die schmutzige Schürze. Derhalben jauchzt, mit Freuden singt, gelobet sei mein Gott, sangen sie und ein verschmiertes Kind starrte sie an mit groß aufgerissenen Augen.
Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, das Herz zum Tempel macht bereit, sangen sie, müde schon, und ohne genau zu bedenken, was sie sangen. So kommt der König auch zu euch, ja Heil und Leben mit zugleich, sangen sie, wie sie schon in einem Dutzend niedriger Stuben gesungen hatten. Komm, o mein Heiland Jesu Christ, sangen sie. Und er kam. Die Türe ging auf, er kam und schwankte, ein taumliger Riese, er kam und zog die Türe hinter sich zu, er hielt sich an der Türfalle fest und begriff vorerst nichts, mit stumpfen Augen glotzte er in die niedrige Stube, die voll war von Menschen, glotzte, an die Türe gelehnt, begriff nichts, aber auf einmal bewegte er sich, übertrieben und plötzlich, er kam und schubste sich, Hände voran, durch die Sänger und versuchte, die Rechte eines jeden zu finden, die Zunge stolperte über Dankesworte, sein rechter über den linken Fuß.
Die Alkoholfahne wehte aus sabberndem Mund, dann hielt er sich wieder fest, zufällig an einem Fensterriegel, rülpste, schnitt unerklärlich Grimassen und wandte den Kopf zur Seite, man wusste nicht, drängte es ihn zu heulen oder war ihm zum Brechen übel. Vielleicht beides zusammen. Erschrocken begannen die Sänger, wieder zu singen, sie sangen ein anderes Lied, sie sangen presto-prestissimo, heut schließt er wieder auf die Tür, sangen sie und der Riese hing unberechenbar am Fensterriegel, zum schönen Paradeis, sangen sie und er verdrehte die Augen, die Stirnader schwoll, als platze er demnächst vor Zorn, der Cherub steht nicht mehr dafür, sangen sie. Aber er stand, er hing am Fensterriegel und schwankte, aber er stand, Gott sei Lob, Ehr und Preis, sangen sie, das Herz zusammengepresst und mit kurzem Atem vor Angst, er bewegte den struppigen Schädel dazu, doch war nicht deutlich, nickte er Zustimmung oder stieß ihm was auf. »Schöne Weihnachten«, das wünschten die Sänger und schoben einander zur Türe hinaus. Er blabberte etwas. Die alte Frau verwitterte noch mehr, die junge hielt ihren Kopf gesenkt. Affen, hat er gesagt, behaupteten auf der Straße die einen, nein Amen, sagten die andern. Vielleicht beides, wer weiß, Gott weiß es, Welt ging verloren, doch morgen ist Weihnachten, Christ ist geboren.
Von Kurt Marti
Weihnachde uff Hessisch
Wie de Opa Kall seine Enkelscher ma die Weihnachdsgeschischt erzählt hat
Es is werklisch schon arch, arch lang her. Un es sin schon ganz annere Sache gewese in de Zwischezeit. Trotzdem: Was da bassiert is, des werd nie vergesse wern. Also: des ganze duht sisch im Heilische Land abschbiele, e bissi unnerhalb von Jerusalem, in em klaane Dorf namens Brothause – oder wies rischtischer uff Hebräisch haaßt: Bethlehem. Aber los geht die Geschischt a ganz Stick fort von Bethlehem, nämlisch in em annere Dorf namens Nazareth. Von da is eines Taaches e Päärsche uffgebroche un hat sisch uf den weide Weesch nach Bethlehem gemacht, als Rischtung Süde. Des is – saache mer ma – so weid wie von Fulda nach Wisbade. Runde hunnertfuffzisch Kilomeder. Un des Ganze zu Fuß, misst er wisse – weil: Audos hads da ja noch net gebbe.
Des was die Sach ach net einfacher gemacht hat, war, dess des Mädsche, also die jung Fraa, im neunde Monat war. Maria hat se gehaaße un ihrn Lover hat Josef gehaaße, des war en Schreiner. Warum die nach Bethlehem mussde? Tja, damals ham se, also de Kaiser un sei Beamde des scheints net annersder hiekrieht. Sie wollde wisse, wieviel Leud im Heilische Land lebe un da ham se verfüscht: jeder sollt sisch da melde, wo sein Vorfahrn deham gewese sin. Was en Umstand! Un der Schreiner, der Josef also, der hat sein Stammbaum bis uf de berühmde Könisch David zurückführn könne. Un der kam hald aus Bethlehem. Un dann isses komme, wies komme musst: grad als se nach einische Daach Fußmarsch in Bethlehem aakomme sin, kriht die Maria Wehe! Oh weh, o weh! Erschend son mitleidische Mensch hat se dann in ere Hütt cambiern lasse – weil alle normale Zimmer beleescht warn, halt wesche dere halbe Völkerwanderung, wo die Zählung ausgelöst hadde. Des war e bissi wie bei der Frankforder Buchmess heudzudaach.
Also enei in de Schuppe, bissi Stroh uffgeschütt, des Kind krieht un in die Windele gewickelt, die wo se vorsischtshalber dehaam schon aagepackt hatte. Fer alle Fälle. Maria hat des Bobbelche grad an de Brust, da hat der Josef den Rindviehchern die Fudderkripp gerippt un aageschleppt. Als Wiesche fers Kind. Des war hald son Praktiker, der Schreiner, nach dem Moddo: Es gibt immer was ze dun! Aber dann. Grad habbe se gedacht, se hätte ihr verdient Ruh nach de ganze Uffreschung, da klobbts an de Dür. „Ja bidde?“ fraachd der Josef noch, aber da sin se schon eneigedabbt in die gut Stubb: e Handvoll Schafhirde un annere dunkle Gestalde. „Ei Guude un Schalom“ – un se hädde da was geheert, sacht der aane, son ganz Alde, dess des Bobbelsche da ema was ganz was Besonneres wern würd. Un der annere maant, uffem Acker drauße wär grad en Engel bei ihne gewese un hätt se hergeschickt, weils jetz, also mit dem Kindsche da, weils jetz iwwerall Friede gebbe würd. Un en dritter fraacht, ob se erschendwie was helfe könnde, wo se schon ma da wärn. Aber dann sin se all mit eim Ma ganz still worn. Un ham nur des Kind aageguckt. Un sin so ihre Gedanke nachgange. Un der ersde hat dann so e ganz aales Gebet in sein Bart gesproche, „Ehr sei Gott obbe im Himmel. Un uff der Erd solls Friede wern.“ Da isses der Maria ganz warm ums Herz worn, un aach dem Josef isses erschendwie feierlisch gewese. Jedenfalls hadder ganz heiser „Amen“ gesacht, sisch geräusbert un die ganze Leud wieder aus de Hütt enaus komblimendiert. Schließlisch muss mer doch an so nem Daach, wo Weihnachde un Gebordsdaach uffenanner fällt, erschendwann aach ema zur Ruh komme!
Von Helwig Wegner-Nord
Weihnachten trotz Baum
Jedes Jahr am 23. Dezember lag Opa halb im, halb unterm Baum. Daumen und Zeigefinger am Baumständer. Genauer: am verrosteten Verschlussmechanismus. Nach einer Dreiviertelstunde brauchte Opa Pflaster und der Baum stand endlich schief. Weihnachten war bei uns das Fest der schrägen Tannenbäume. Der rot gepiekten Hände. Und der auf rätselhafte Weise verschwundenen Krippenfiguren. Als Kind war mir klar: Weihnachten hat etwas Vergebliches. Erst recht dann, wenn dem Baum die Spitze aufgesetzt wurde.
Mit der Spitze war es nämlich eine spezielle Sache. Sie war 1945, in bitterster Zeit, wie es hieß, angeschafft worden, bestand aus wertvollem Plastik, das nicht schön, dafür aber ungeheuer zerbrechlich war. Auf der Spitze dieser Spitze tanzten filigran und ebenfalls ungeheuer zerbrechlich zwei Engelchen ohne Flügel umeinander. Ein Flügel war Weihnachten 1954, ein anderer rechtzeitig zum Fest 1975 abgebrochen. Die Spitze wurde zum Lob des Kaputten: Irgendwie kamen die Engel doch nach oben. Oma fand, die Bäume würden jedes Jahr stacheliger, »sicher wegen der Umwelt«. Opa wiederum fand sie jedes Jahr schiefer.
»In sich schief«, sagte er. Schließlich wurde das Bäumchen mit Spitze exakt ausgerichtet. Opa fragte, in welche Richtung er kippen solle, und Oma sagte den legendären Satz: »Mehr rüber zu Küsters!« Familie Küster wohnte ein Häuschen weiter, rechts vom Wohnzimmerfenster, also kippte der Baum nach rechts, wo ihn der Wohnzimmerschrank höflich stützte. Schließlich wurde die Krippe aufgebaut, in der Jesus häufig fehlte, weil er einfach zu klein war und im Verpackungsmaterial untertauchte. Meist fand er sich spätestens im Februar in einem anderen Karton wieder.
Wie es meiner Familie alle Jahre wieder gelang, trotz Baum und Krippe doch noch Weihnachten zu feiern, gehört für mich zu den offenen religiösen Geheimnissen.
Von Christian König
Figuren aus dem Karton
Der Karton steht unten im Keller. Da, wo man nur ein Mal im Jahr hinkrabbelt. Aus grüner Pappe, die Seiten sind eingerissen. Oben drauf ein Schriftzug: »IMI. Die kluge Hausfrau weiß, warum«. Und handschriftlich steht daneben »Krippe«, in großen, roten Druckbuchstaben. Vergilbt und blass, aber lesbar. Omas Handschrift. Opa hatte den IMI-Karton 1947 gekauft, als die Tochter auf die Welt kam und Babywindeln gewaschen werden mussten. IMI war damals ein bekanntes Waschpulver. Weil der Karton stabil blieb, kamen die Krippenfiguren hinein, säuberlich in wunderbar holziges Zeitungspapier der »Westerwälder Zeitung« eingepackt.
Josef guckt ziemlich nachdenklich. Er ist bis heute in eine Seite verpackt, auf der Bundeskanzler Konrad Adenauer »einen Abgrund an Landesverrat« wittert. Die »Spiegel-Affäre« aus dem Jahr 1962 schützt auf diese Weise den irdischen Vater Jesu von Nazareth vor politischen Beschädigungen.
Maria liegt eingepackt in ein Kochrezept der Seite »Haus und Hof«, die im Jahre 1959 Szegediner Gulasch mit böhmischen Knödeln »der fröhlichen Hausfrau« ans Herz legt. Und Maria, die zarte, kleine Maria, lächelt ganz vorsichtig, und mir als kleinem Buben war damals schon klar, dass dieses kleine, ironische Lächeln etwas mit einem Jahr Liegezeit im Gulasch zu tun haben musste.
Jesus schließlich ruht eingebettet in eine »Schmuck und Uhren Salzmann«-Schachtel. Herr Salzmann, der Juwelier, war der Inbegriff des Nicht-Messias: brummig. Humorlos. Knubbelfingerig. Für einen stattlichen Mann verfügte Herr Salzmann noch dazu über eine recht dünne Fistelstimme. Zwar kann ich mir den Gott aus der Schachtel mit allerlei Überraschungen ausgestattet vorstellen. Aber die Bergpredigt mit Fistelstimme? So was macht Atheisten.
Irgendwann im Dezember packe ich alle Figuren wieder aus. Noch immer lächelt Maria zart der Welt entgegen. Schläft das Christuskind selig, blickt der Josef nachdenklich. Egal, womit die Welt euch einwickelt, denke ich, euch selbst kriegt keiner klein. Und in der dritten Generation stehen sie wieder unterm Baum.
Von Christian König
Wie’s weitergeht
»Was machen wir hinterher?«, fragt der Kabarettist Hanns-Dieter Hüsch. Was machen wir nach Weihnachten? »Glotz nicht in den Himmel, hier unten hast du’s«, rät Martin Luther. Alles Glück und allen Schlamassel. Beides ruft nach Standhalten. Dankbar wahrnehmen, was an Gutem im eigenen Leben schon da ist. Gott alarmieren, wo es nottut.
Wo der große Weltenlauf verstört und ohnmächtig macht, listig das eigene lebbare Glück nicht aus den Augen verlieren. Und auch das Glück der anderen wollen. Diskret weghören lernen, wo einen Dummheit in Bild und Text anplärrt.
Auf vorgegebene Antworten neue Fragen stellen. Deftige Irrtümer riskieren. Unterstellen können, dass mein Gegenüber im Recht ist. Herumblödeln dürfen mit dem nächsten, liebsten Menschen. Die Kinder davon verschonen können, was einem selbst angetan wurde.
Was machen wir hinterher? Vielleicht in etwa so etwas.
Von Christian König
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