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Advent ist nicht Weihnachten
veröffentlicht 12.12.2022
von Hans Genthe
Warum sind manche Christstollen so trocken? Und warum findet man in anderen eine üppige Marzipanfüllung? Es ist noch gar nicht so lange her, da war der Advent eine Zeit der Buße, in der der Mensch fastete. Vierzig Tage lang aßen die Christen nichts Üppiges, außer man versteckte es unter der kargen Kruste. Denn bevor es Weihnachten werden konnte und man all die Herrlichkeiten des Festes auspacken durfte wollte man an den Herrn denken, der wiederkommt, um die Welt zu retten – den Weltenrichter.
Deshalb handeln viele Adventslieder nicht vom Christkind und auch nicht von der Geburt im Stall. In diesen Liedern wird es erst mal gar nicht weihnachtlich, sondern da geht gerade die Welt unter und der Herr der Welt schickt sich an, Gericht zu halten. „Ihr lieben Christen freut euch nun, bald wird erscheinen Gottes Sohn ... der Jüngste Tag ist nun nicht fern. Ach lieber Herr, eil zum Gericht. Lass sehn Dein herrlich Angesicht.“
So etwas soll aber niemandem das Fest verderben. Denn es war ein guter Gedanke, bereits vor Weihnachten deutlich darauf hinzuweisen, worauf alles hinausläuft und wer das Kind im Stall wirklich ist. Es ist schon ein ernster Grund zur Freude, dass das Kind in der Krippe der Herr der Welt ist. Und dass man es vorher wissen muss, um es begreifen zu können, wenn es dann so weit ist. Dazu dienten die Fasten- und Bußübungen, die man sonntags unterbrechen durfte. So hart war das gar nicht. Und während sie sich in Buße übten, freuten sich die Menschen auf das Fest der Geburt Christi, das sie bald in der Kirche begehen würden.
Geschenke gab es bis zum Ende des Mittelalters an Weihnachten nicht. Die brachte schon der Nikolaus – mitten in der Fastenzeit! Erst Martin Luther, der die Heiligenverehrung ablehnte und die Bedeutung des Heiligen Nikolaus zurückdrängen wollte, soll das Christkind als Gabenbringer empfohlen haben.
Der Adventskranz: eine Erfindung der Diakonie
Das Original wurde 1839 von Johann Wichern, dem Begründer der Inneren Mission, in Hamburg aufgehängt
Ein gutes Dutzend Kinder steht in der Stube des kleinen reetgedeckten Fachwerkhauses aufgeregt unter einem hölzernen, wagenradgroßen Leuchter, der mit vier großen weißen und 19 kleineren roten Kerzen geschmückt ist. Die Hausmutter holt mit einem Span eine Flamme aus dem bollernden Herd und entzündet die erste Kerze. Im Hintergrund stimmt der Hausvater am Klavier sachte eine Melodie an: „O komm, o komm, du Morgenstern, lass uns dich schaun, unsern Herrn. Vertreib das Dunkel unsrer Nacht durch deines klaren Lichtes Pracht.“ So oder so ähnlich könnte es sich zugetragen haben, als vor ungefähr 165 Jahren im „Rauhen Haus“ in Hamburg der erste Adventskranz aufgehängt wurde. Im Oktober 1833 hatte der evangelische Theologe Johann Wichern (1808–1881) gemeinsam mit seiner verwitweten Mutter und einer seiner Schwestern vor den Toren der Hansestadt ein kleines Bauernhaus für verwahrloste und verwaiste Kinder aus den Elendsvierteln der Stadt eingerichtet. Wichern verfolgte eine damals völlig neue pädagogische Idee: Seine „Zöglinge“ sollten nicht in einer der damals üblichen Erziehungskasernen aufwachsen, sondern in Familien von zehn bis zwölf Kindern (anfangs nur Buben) mit einem Betreuer groß werden, der für sie mehr eine Art großer Bruder sein sollte. Jede Familie sollte ihr eigenes Haus bewohnen. So entstanden in den Folgejahren immer mehr Häuser auf dem Gelände um das Rauhe Haus, 1838 wurde ein „Bethaus“ errichtet.
Wie Wichern, der auch als Begründer der „Inneren Mission der Evangelischen Kirche“ – dem Vorläufer der heutigen Diakonie – gilt, auf die Idee des kerzengeschmückten Wagenrads kam, ist nicht überliefert. Erklärungsangebote dafür gibt es jedoch viele: Das lateinische Wort „adventus“ bedeutet eigentlich Ankunft. Die Römer bezeichneten den ersten offiziellen Besuch eines Herrschers oder die Thronbesteigung eines Kaisers als „adventus“. Für die Christen ist der Advent die Zeit der Vorfreude auf die Geburt Christi. Der erste Sonntag im Advent, der 1. Advent, ist zugleich der Beginn eines neuen Kirchenjahrs. Der 24. Dezember zählt – allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz – noch zum Advent. Erst am Abend dieses Tages beginnt die eigentliche Weihnachtszeit.
Der Kranz war schon in der Antike – meist aus Lorbeer – ein Symbol des Sieges. Der Adventskranz kann so vielleicht auch als Symbol des Sieges der Christen über das Dunkle gesehen werden. Das Licht symbolisiert Hoffnung und die Abwehr des Bösen, da es die Dunkelheit vertreibt. Es liegt also nahe, dass Wichern in seinen sogenannten Kerzen-Andachten in der dunklen Winters- und Adventszeit ein wenig Licht ins Leben seiner Schützlinge bringen wollte. Der „Effekt“ eines kerzengeschmückten Adventskranzes lässt sich selbst bei den heutigen „Hightech-Kindern“ noch an deren Augen ablesen. Wicherns Adventskranz hatte übrigens für jeden Tag der Adventszeit eine Kerze. Je nach Lage des Weihnachtsfests im Jahreskalender wechselte die Anzahl der Kerzen. Wichern sah vier große weiße Kerzen für die Adventssonntage vor, dazwischen 18 bis 24 kleine rote Kerzen für die Werktage bis einschließlich 24. Dezember. Der Kranz war mit weißen Bändern umwunden und mit Tannenzapfen besteckt. Ab 1851 wurde der Überlieferung nach im Rauhen Haus der Holzreif erstmals mit grünen Tannenzweigen als Zeichen für das Leben geschmückt. Von Norddeutschland setzte sich der Adventskranz nach und nach in der evangelischen Kirche durch und fand allmählich auch seinen Weg in die heimischen Wohnzimmer – allerdings wesentlich kleiner und nur noch mit vier Kerzen für die Sonntage – bestückt. In einer katholischen Kirche hing der Adventskranz zum ersten Mal im Jahr 1925, und zwar in Köln. In Österreich verbreitete sich der Brauch so richtig erst nach 1945.
In der Stiftung Rauhes Haus (rauheshaus.de), einer der bekanntesten diakonischen Einrichtungen Deutschlands, wird die Tradition des wichernschen Adventkranzes nach wie vor gepflegt. Beim Adventsmarkt am Mittwoch vor dem ersten Advent kann man sogar dabei zusehen, wie er hergestellt wird.
Von Karin Tzschentke, Pressereferentin Diakonie Österreich
Krippenfiguren
Den Menschen der späten Antike und des Mittelalters genügte es nicht, die Weihnachtsgeschichte zu hören. Sie wollten den Heiland mit eigenen Augen sehen und ihm möglichst nahe sein. Früheste Hinweise auf die Aufstellung einer Krippe in einer Kirche gibt es bereits aus dem antiken Armenien um das Jahr 400. In Rom wurde in einem Seitenschiff der Kirche Santa Maria Maggiore (sie wurde 420 erbaut und hieß früher „Santa Maria ad praesepe“; „praesaepe“ ist das lateinische Wort für „Krippe“) eine Kapelle für die Krippe und alle Figuren, die dazugehören, errichtet. Aus der Prozession und der Anbetung der Krippe entstanden im Mittelalter dann die Krippenspiele.
Die lebende Krippe
Der heilige Franz von Assisi lud am 25. Dezember des Jahres 1223 die Menschen der Umgebung zur Mitternachtsmette in einen Wald bei Greccio (90 Kilometer nördlich von Rom) ein. Neben einem Altar ließ er die Szenerie von Bethlehem nachstellen: eine echte Futterkrippe mit einem aus Wachs geformten Jesuskind darin. Auch einen echten Ochsen, einen Esel und mehrere Schafe ließ er auftreten. Josef und Maria wurden zwar nicht dargestellt, doch ein paar Anhänger von Franz mimten die Hirten. Er selbst hielt die Predigt. Hunderte von Menschen standen betroffen still und erleuchteten mit ihren Lampen den nächtlichen Wald. Mit dieser Mitternachtsmesse begründete Franz von Assisi eine Tradition, die die Menschen in Greccio bis heute pflegen: Zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar wird die Weihnachtsgeschichte dargestellt. Die Partnerstadt der Gemeinde in der Provinz Rieti heißt nicht zufällig Bethlehem.
Die hölzernen Krippenfiguren werden populär
Aber nicht jede Kirchengemeinde war in der Lage, die Geburt Christi auf so lebendige Weise darzustellen, wie Franz es getan hatte. Sie behalfen sich, indem sie die lebendigen Darsteller durch geschnitzte Figuren ersetzten. Von Italien brachten die Jesuiten die Krippe über die Alpen: 1562 soll die erste in Prag aufgestellt worden sein. In manchen Städten standen die Krippen nicht nur da, um bewundert zu werden: Die Reichen brachten – wie der Legende nach die Weisen aus dem Morgenlande – ihre Opfergaben, die später unter den Bedürftigen verteilt wurden.
Doch es gab auch Bestrebungen, die Verbreitung der Krippe zu unterbinden. So wandten sich manche Herrscher während der Aufklärung (1650 bis 1800) vehement gegen den Volksbrauch, den sie als rückständig empfanden. Die österreichische Kaiserin Maria Theresia etwa verbot das Krippenwesen ganze vier Mal während ihrer Regierungszeit (1740–1780). Die szenischen Darstellungen waren inzwischen aber bei den Familien so beliebt, dass sie anfingen, sich ihre privaten Krippen herzustellen.
Nach Ochs und Esel sucht man übrigens vergeblich in der uns geläufigen Weihnachtsgeschichte. Sie tauchen aber im Pseudo-Matthäus-Evangelium aus dem 8. Jahrhundert, das zu den apokryphen Schriften zählt, auf:
Am dritten Tag nach der Geburt des Herrn verließ Maria die Höhle und ging in einen Stall. Sie legte den Knaben in eine Krippe; Ochs und Esel huldigten ihm. Da ging in Erfüllung, was der Prophet Jesaja gesagt hatte: "Es kennt der Ochse seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn."
Der Christbaum
In allen Kulturen und Religionen steht der Baum als Symbol für das Leben, besonders die, die ihre Blätter (oder Nadeln) auch im Winter nicht abwerfen. Für die Menschen waren diese immergrünen Pflanzen ein Symbol für das ewige Leben.
In den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt erhoben Päpste Einspruch gegen den Brauch, Lorbeerzweige ins Haus zu holen. Immergrünen Pflanzen eine dämonische Lebenskraft zuzuschreiben war für sie nicht vereinbar mit dem christlichen Glauben.
Doch diese Verbote verfehlten ihr Ziel: Die Menschen schmückten auch weiterhin ihre Häuser von Advent bis Mariä Lichtmess mit grünen Zweigen und Girlanden. Grün galt und gilt als Farbe der Hoffnung.
Aufgeputzte Bäume
Wann aus den losen grünen Zweigen ganze Bäume wurden, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr genau bestimmen. Die ersten Christbäume in unserem Sinne sind vermutlich um 1600 im Elsass aufgestellt worden: geschmückt mit Süßigkeiten und Äpfeln.
Zunächst in Süddeutschland und dann vor allem in den protestantischen Regionen verbreitete sich der Brauch sehr rasch.
Goethe beschreibt 1774 in seinem Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ „das paradiesische Entzücken der Kinder“ angesichts des „aufgeputzten Baumes mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln“. Bekannt ist ebenfalls Theodor Storms Erzählung „Unter dem Tannenbaum“, in der er das Aufstellen und Schmücken des Christbaumes ausführlich beschreibt.
Verbreitung in der „Neuen Welt“
Im 19. Jahrhundert trat der Weihnachtsbaum dann seinen Siegeszug um die Welt an: Deutsche Einwanderer brachten ihn mit nach Amerika. Es gibt eine lange Tradition, im „Blue Room“ des Weißen Hauses, in dem der amerikanische Präsident traditionell seine Gäste begrüßt, einen geschmückten Baum aufzustellen. Berühmte Christbäume stehen auch auf dem Petersplatz in Rom und auf dem Trafalgar Square in London.
Der „Christbaum“ als Gegensymbol zur katholischen Weihnachtskrippe
In Deutschland setzten die Katholiken dem Christbaum großen Widerstand entgegen. Sie hatten schließlich längst ihre Krippen und das Aufstellen eines Baumes kam den Menschen im Süden unsinnig und sogar heidnisch vor. Entweder Krippe oder Weihnachtsbaum, lautete ihre Devise. Dieser Gegensatz markierte die Grenze zwischen den beiden Konfessionen. Überwunden wurde diese Trennung erst mit dem Krieg Deutschlands gegen Frankreich im Jahr 1870. Die Einigkeit darin, Deutsche zu sein, war auf einmal stärker als der Unterschied zwischen den Bekenntnissen: Der Christbaum, der im Kriegsjahr in allen Soldatenquartieren stand, wurde so zu einem „deutschen“ Symbol. In die katholischen Kirchen schaffte es der Christbaum dann allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg.
Von Peter Bernecker
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