© EKHN / Mohr
Intervention
veröffentlicht 23.01.2024
von Online-Redaktion der EKHN
Intervention ist zwingend nötig, sobald es Anzeichen gibt, dass haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeitende ihrer Pflicht, Schutzbefohlene vor Gewalt zu bewahren, nicht nachkommen.
Handeln bei Anzeichen sexualisierter Gewalt
Es ist die Grundhaltung der EKHN, dass der Schutz vor Grenzverletzungen und Gewalt jeder Art Aufgabe und Pflicht aller ist, die Verantwortung in der EKHN tragen. Gewalt meint dabei auch die Manipulation des Gegenübers durch Aufmerksamkeit und scheinbare Liebesbeweise.
Die Präambel des Gewaltpräventionsgesetzes hält zusammenfassend fest:
„Intervention ahndet Verstöße gegen diese Grundhaltung und erkennt damit auch das Unrecht an.“
Wenn Sie in Ihrer Einrichtung mit einem Verdacht oder dem Tatbestand der sexuellen Gewalt gegenüber einem Kind / einem Jugendlichen konfrontiert sind, bitten wir Sie, die folgenden Leitgedanken in Ihrem Handeln zu berücksichtigen. Diese sind für den Ernstfall von zentraler Bedeutung.
Die Konfrontation mit einem mehr oder weniger erhärteten Verdacht auf sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern / Jugendlichen stellt auch für professionelle Helferinnen und Helfer eine besondere persönliche Belastungssituation dar. Diese können mit unerwarteten Gefühlsreaktionen wie Ohnmacht, Abwehr, Aggression, Ekel, Unsicherheit oder Zweifel an der eigenen Wahrnehmung verbunden sein. Um weitere Schritte ruhig angehen zu können, müssen die Helferinnen und Helfer sich Raum für die Reflexion eigener Gefühle und fachlichen Handelns innerhalb einer Fachberatung oder Supervision verschaffen.
Leitgedanken für das Handeln / Was sollten Sie tun:
- Bewahren Sie Ruhe und verfallen Sie nicht in Aktionismus! Wer schnell und wirksam helfen will, braucht Zeit!
- Der Schutz des Kindes / des Jugendlichen steht an erster Stelle!
- Dokumentieren Sie chronologisch kurz und knapp Gespräche, Beobachtungen, Aussagen, Eindrücke sowie Handlungsschritte, die Inhalte, den Zeitpunkt und Ort des Gesprächs.
- Nehmen Sie umgehend Kontakt zu einer regionalen Fachberatungsstelle auf, schildern Sie den Fall und stimmen Sie das konkrete Vorgehen für den Einzelfall ab (Adressen im Präventionskonzept).
- Signalisieren Sie dem Kind / Jugendlichen oder der Fallmelderin / dem Fallmelder, dass Sie die Informationen ernst nehmen und der Sache nachgehen.
- Informieren Sie das Kind / den Jugendlichen, die Eltern und die Fallmelderin / den Fallmelder altersangemessen über die nächsten Schritte.
- Erkennen Sie Ihre eigenen Grenzen und Möglichkeiten.
Was sollten Sie auf keinen Fall tun:
- Unternehmen Sie nichts im Alleingang. Stimmen Sie Ihr Handeln mit Experten ab.
- Schalten Sie nicht vorschnell die Polizei ein.
- Sprechen Sie nicht die verdächtige Person an, ohne zuvor mit einer Beratungsstelle das Gespräch gesucht und das Vorgehen abgestimmt zu haben.
- Streuen Sie die Informationen nicht unnötig. Halten Sie den Kreis der informierten Personen zunächst klein.
- Wichtig: Machen Sie keine vorschnellen Versprechungen, wie z.B. „Ich sorge dafür, dass das sofort aufhört!“ oder „Ich sage niemandem etwas davon.“, sondern sagen Sie dem Kind / Jugendlichen, dass Sie mit anderen Helferinnen und Helfern sprechen werden, wie ihm am besten geholfen werden kann.
Betroffene erhalten unmittelbare Unterstützung
Betroffene sind berechtigt, den Vorfall der Beauftragten für Chancengleichheit und / oder der Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt mitzuteilen. Sie können sich dort über mögliche und notwendige Konsequenzen sowie Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Vorfälle beraten lassen (§ 13 ChGlG/ § 10 GPrävG).
Vorgesetzte sind verpflichtet, soweit die Betroffenen damit einverstanden sind, bekannt gewordene Fälle von Grenzverletzungen oder sexualisierter Gewalt der Dienststellenleitung zu melden (§ 13 ChGlG).
Die Dienststelle ist verpflichtet, Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt durch Aufklärung vorzubeugen und bekannt gewordene Fälle als Dienstvergehen zu verfolgen (§ 13 ChGlG).
Betroffene Personen, die sich gegen Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt gewehrt bzw. in zulässiger Weise ihre Rechte eingefordert, sowie in gleicher Weise haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende, die einen Fall bekannt gemacht haben, sichert die EKHN im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht zu, dass ihnen deswegen keine persönlichen oder beruflichen Nachteile entstehen.
Die genannten Maßnahmen und Sanktionen dürfen nicht gegen Betroffene, sondern ausschließlich gegen die Grenzverletzung und Gewalt ausübenden Personen Wirkung entfalten.
Jeder und jede ist aufgefordert, Betroffene oder Beobachtende zu ermutigen, sich gegen jedwede Form sexualisierter Gewalt zur Wehr zu setzen und Lösungen für die belastende Situation zu finden.
Folgende Maßnahmen oder Sanktionen kommen, je nach Einzelfall, in Betracht:
- Das persönliche Gespräch mit dem Hinweis auf das Verbot der sexuellen Belästigung
- Die mündliche Belehrung bzw. Ermahnung
- Die schriftliche Ermahnung mit einem Vermerk in der Personalakte
- Die Aufforderung zu einer Entschuldigung gegenüber der belästigten Person
- Die Aufforderung, an Informations- oder Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen
- Die Versetzung in eine andere Abteilung oder zu einer anderen Dienststelle
Bei Angestellten
Die schriftliche Abmahnung mit der Ankündigung von arbeitsrechtlichen Konsequenzen, ggf. die fristgerechte oder fristlose Kündigung.
Bei Kirchenbeamt:innen bzw. Pfarrpersonen
Der Verweis, die Geldbuße, die Kürzung der Bezüge, die Versetzung sowie ggf. die Entfernung aus dem Dienst.
Bei Ehrenamtlichen
Ruhen oder Verlust des Ehrenamtes.
Handeln ist nötig, aber nicht immer einfach
In § 10 des Gewaltpräventionsgesetzes ist eine Meldepflicht verankert und der Rahmen von Interventionsmaßnahmen wird erläutert. Intervention ist nicht nur bei selbstbeobachteten Gewalttaten nötig. Sobald sich Verdachtsmomente ergeben, muss auch ohne eindeutigen Nachweis für einen Gewaltakt eingegriffen werden. Das heißt allerdings nicht, dass dies spontan und ohne Rücksprache mit Experten geschehen soll – auch nicht in Fällen sexualisierter Gewalt.
§ 10 GPrävG
Meldepflicht, Interventionsmaßnahmen
- Jede Mitarbeiterin oder jeder Mitarbeiter, der oder dem zureichende Anhaltspunkte für Vorfälle sexualisierter Gewalt im kirchlichen Bereich zur Kenntnis gelangen, ist verpflichtet, dies unverzüglich der Kirchenverwaltung zu melden (Meldepflicht). Er oder sie wird hierzu arbeitsvertraglich oder durch entsprechende sonstige Regelung verpflichtet.
- Kirchliche Träger sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass Meldungen über Fälle sexualisierter Gewalt bearbeitet und die notwendigen Maßnahmen veranlasst werden, um die Gewalt zu beenden, die betroffenen Personen zu schützen und weitere Vorfälle zu verhindern (Intervention).
- Arbeits- und dienstrechtliche Pflichten, insbesondere zum Schutz des Beichtgeheimnisses und der seelsorgerlichen Schweigepflicht, sowie Mitteilungspflichten und erforderliche Maßnahmen im Fall des Verdachts einer Verletzung von Pflichten aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis bleiben unberührt.
- Kirchliche Träger und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Anspruch auf gesamtkirchliche Beratung zur Abklärung von Verdachtsfällen.
Erläuterung zu § 10
Trotz aller Präventionsbemühungen kann es zu Vorfällen sexualisierter Gewalt kommen. § 10 postuliert eine Meldepflicht gegenüber der Gesamtkirche. Zureichende Anhaltspunkte sind dann gegeben, wenn die Möglichkeit des Vorliegens sexualisierter Gewalt sichtbar wird. Zur Abklärung grenzverletzenden Verhaltens oder auch möglicher strafbarer Handlungen stehen unter anderem Fachberatungsstellen, die insoweit erfahrene Fachkraft der Jugendämter, die Kinderschutzbeauftragte des Fachbereichs Kindertagesstätten sowie das Referat Personalrecht zur Verfügung. Gibt es entsprechende Anhaltspunkte hat die Meldung bei der Gesamtkirche, Referat Personalrecht zu erfolgen. Die Unterlassung der Meldung ist eine Pflichtverletzung.
Die Verantwortung für die Bearbeitung sexualisierter Gewaltfälle liegt bei den kirchlichen Trägern. Sie werden dabei durch die Gesamtkirche unterstützt. Die Meldepflicht kollidiert nicht mit sonstigen arbeits- und dienstrechtlichen Pflichten. Neben ihr bestehen möglicherweise weitere Mitteilungspflichten etwa nach dem Bundeskinderschutzgesetz oder dem SGB VIII oder auch aus dem Disziplinarrecht oder dem Statusrecht (§ 6 Absatz 2 DGEKD, § 31 Abs. 2, § 43 PfDG.EKD).
Das Vorliegen eines Verdachtsfalles verpflichtet zur Intervention. Erster Schritt ist hierbei die Schaffung von Distanz zwischen möglichen Opfern und der / den handelnden bzw. unter Verdacht stehenden Person/en. Diese Distanz ist notwendig, um eine weitere Gefährdung auszuschließen und gleichzeitig dient sie der Sachverhaltsaufklärung, auch zum Schutz der unter Verdacht stehenden Personen. Die Mitarbeitenden verpflichten sich, im Verdachtsfall ihre Arbeit, ob haupt- oder ehrenamtlich, ruhen zu lassen. Dies kennzeichnet einen professionellen Umgang mit Verdachtsfällen und stellt somit keine Vorverurteilung da. Betroffene und deren Familien können darauf vertrauen, dass dem Schutzgedanken Vorrang eingeräumt wird und Mitarbeitende erhalten durch den Standard Verhaltenssicherheit.
Bestätigt sich ein Verdacht, sind entsprechende Maßnahmen einzuleiten (siehe Handreichung zu Fragen des Kinderschutzes).
Wird ein Verdacht entkräftet, ist dies den Beteiligten offen zu legen und weitere gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen zur Rehabilitation sind zu vereinbaren.
Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Petra Knötzele und Anette Neff, M.A.