© Yvonne Schnur
Ausstellung zum Schicksal von Heimkindern in der Nachkriegszeit
veröffentlicht 04.02.2025
von Peter Bernecker
Die Wanderausstellung „Kinder in Heimen von 1945 bis 1975“ wird bis 14. Februar 2025 in der Wormser Magnuskirche gezeigt.
„Wenn du so weitermachst, kommst du ins Heim.“ An Sätze wie diese kann sich Pfarrer Thomas Ludwig noch gut erinnern: „Niemand hat uns erklärt, was das bedeutet, aber es war völlig klar: Das ist kein guter Ort – da will man lieber nicht hin.“ Noch in den 70er Jahren war Gewalt in der Kindererziehung anerkannt und weit verbreitet. Was aber in den Kinderheimen geschah, ging weit über das erlaubte und gesellschaftlich anerkannte Maß hinaus. Von dieser Gewalt berichtet die Ausstellung „Kinder in Heimen von 1945 bis 1975“ der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), die am vergangenen Freitag in der Wormser Magnuskirche eröffnet wurde.
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Sensibel werden für Grenzverletzungen
„In der evangelischen Kirche haben wir uns viel zu lange der Illusion hingegeben, dass Gewalt, vor allem sexualisierte Gewalt, in unseren Gemeinden und Einrichtungen ein seltenes Randphänomen sei“, so Thomas Ludwig, der als stellvertretender Dekan des Evangelischen Dekanats Worms-Wonnegau die Besucher:innen begrüßte. „Betroffene wurden nicht ernst genommen. Schuldige wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Strukturen, die Gewalt ermöglichen, wurden beibehalten“, fand Ludwig deutliche Worte. Damit sich dies ändert, müsse man hinschauen, zuhören und die „unaushaltbare Realität aushalten“. Damit der Nährboden für jede Art von Gewalt in den Köpfen und kirchlichen Strukturen austrocknen kann, müsse das Thema enttabuisiert und „wir alle sensibel werden für Grenzverletzungen“, forderte der Pfarrer.
Szenische Lesung mit Karl-Heinz-Deichelmann und Katharina Schmitt
Im Zentrum des Abends standen die Berichte zweier Betroffener von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche. Der Wormser Schauspieler Karl-Heinz Deichelmann las aus dem Buch „Entstellter Himmel“, Katharina Schmitt stellte das schier Unaussprechliche am Cello dar. Die Musik hatte sie eigens für diesen Abend komponiert.
Die erste ausgewählte Passage gab Briefe zwischen einem Betroffenen und seinem Peiniger wieder. Der damals 12-jährige Konfirmand wurde von seinem Pfarrer sexuell missbraucht und nahm 50 Jahre später den Kontakt auf. Erschütternd traf die Zuhörenden die Erkenntnis, dass der Täter noch heute keinerlei Unrechtsbewusstsein erkennen lässt. Dennoch: Das Schweigen zu brechen, sei der beste Weg gewesen um mit dem Geschehenen zu leben, so der Betroffene. Der zweite Bericht erzählte eine Ost-West-Geschichte. Durch Trennung der Eltern und Erkrankung der Mutter, kam der Betroffene zunächst in der DDR, später in der BRD ins Heim und erfuhr dort Gewalt, Angst, Isolation, Einsamkeit und sexuellen Missbrauch durch das pädagogische Personal. Bis heute hat er keine Entschuldigung erhalten.
Gesprächsangebot vor Ort und anonyme Kontaktmöglichkeit
Mehrfach luden die Veranstalter dazu ein, im Anschluss an die Lesung das Gespräch zu suchen. Dafür standen an diesem Abend mehrere Seelsorger:innen und psychologisch ausgebildete Fachkräfte bereit. Zudem wurde auf Kontaktmöglichkeiten hingewiesen, über die man auch anonym Hilfe erhalten kann.
Finissage am 6. April mit EKHN-Historikerin
Die Schau wird noch bis zum 14. Februar in der Magnuskirche zu sehen sein und zieht dann weiter nach Herrnsheim, Monsheim, Osthofen und Ibersheim. Während der Finissage am 6. April wird Anette Neff, Historikern und Mitarbeiterin der Fachstelle gegen Sexualisierte Gewalt der EKHN, über Entstehung und Hintergründe der Ausstellung berichten. Weitere Informationen gibt es im Vorfeld unter www.worms-evangelisch.de.
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