© epd, Thomas Lohnes
Künftige Kirchenpräsidentin Tietz: Kirche steht für Demokratie ein
veröffentlicht 23.01.2025
von epd-Gespräch: Renate Haller und Jens Bayer-Gimm
Christiane Tietz, die designierte Kirchenpräsidentin der EKHN, spricht sich für eine lebendige Demokratie aus. Sie plädiert dafür, dass Menschen auch mit unterschiedlichen Ansichten miteinander im Gespräch bleiben sollten.
(epd). Die designierte Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Christiane Tietz, sieht in der Demokratie die beste Möglichkeit für eine gerechte Gesellschaft. Demokratie habe nicht nur etwas mit Mehrheiten zu tun, sondern auch mit Menschenwürde und Menschenrechten, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Tietz wird als Nachfolgerin von Volker Jung am Sonntag in der Lutherkirche in Wiesbaden offiziell in ihr Amt eingeführt. Jung geht mit 65 Jahren in den Ruhestand.
epd: Der erste Februar ist Ihr erster Arbeitstag als Kirchenpräsidentin. Wissen Sie, was am folgenden Montag, den 3. Februar, in Ihrem Kalender steht?
Christiane Tietz: Ja, ich halte am Abend einen Vortrag in der Stadtkirche Darmstadt mit dem Titel: "Angefochtene Demokratie. Hilft nur noch beten?". Ich glaube, wir müssen uns immer wieder neu vor Augen führen, warum Demokratie wichtig ist. Sie hat eben nicht nur etwas mit Mehrheiten zu tun, sondern auch mit Menschenwürde und Menschenrechten. Gerade weil die Demokratie, wenn sie auf die Gleichheit aller Menschen achtet, der beste Weg zu Gerechtigkeit in einer Gesellschaft ist.
epd: Wo sehen Sie die Gleichheit in Deutschland in Gefahr?
Christiane Tietz: Bei Fragen wie: Welche Rechte haben eigentlich die Geflüchteten oder die Menschen, die nicht immer schon in Deutschland waren? Da wollen wir deutlich machen, dass ein menschenwürdiges Leben für alle Menschen ein Recht ist, nicht nur für die, die hier geboren sind.
epd: Zurück zu Ihrem Vortragstitel: Hilft nur noch beten?
Christiane Tietz: Ich würde gerne stark machen, dass das Beten nicht nur die Notlösung ist, sondern dass im Gebet eine große Kraft liegt. Wenn man betet, vertraut man darauf, dass die Welt trotz allem in Gottes Hand ist. Ich bin überzeugt, das kann uns helfen, zuversichtlich zu bleiben und Hoffnung und Mut zu haben, dass es gut weitergehen kann.
epd: Was kann die Kirche konkret für die Demokratie tun?
Christiane Tietz: Wir müssen weiter im Gespräch bleiben in der Gesellschaft. Wir beobachten ja, dass wir nicht mehr mit Menschen, die andere Ansichten haben, im Gespräch sind. Wir möchten als Kirche auch ein Ort sein für die Gesellschaft insgesamt, um im Gespräch zu bleiben - um sich zuzuhören, um über Ängste und Sorgen zu sprechen, um Argumente auszutauschen. Die EKHN macht beispielsweise bei der Initiative der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) "Verständigungsorte" mit. Die Schwierigkeit dabei ist, auf der einen Seite freundlich zugewandt zu bleiben und auf der anderen Seite zu sagen, dass bestimmte Positionen wie Rassismus, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit für uns nicht akzeptabel sind.
epd: In den Kirchen wird diskutiert, ob AfD-Mitglieder Ämter niederlegen sollen. Wie sehen Sie das?
Christiane Tietz: Für mich ist wichtig, dass wir keine anlasslose Gesinnungsprüfung als Kirche durchführen. Aber gleichzeitig dürfen wir als Kirche erwarten, dass Mitarbeitende den Idealen und Werten der Kirche entsprechen. Und dazu gehört ganz entscheidend die Botschaft des Evangeliums: Alle Menschen sind vor Gott gleich. Das bedeutet: Wenn in der Kirche beschäftigte Menschen sich rassistisch, judenfeindlich oder muslimfeindlich äußern, dass wir dagegen arbeitsrechtlich vorgehen.
epd: Wo setzen Sie zu Beginn Ihrer Arbeit Schwerpunkte?
Christiane Tietz: Ein Thema, das mir sehr wichtig ist, ist der Umgang mit sexualisierter Gewalt innerhalb der Kirche. Die Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt ist der einzige Stabsbereich, der direkt der Kirchenpräsidentin zugeordnet ist. Das Thema muss wirklich auf allen Ebenen der Kirche ankommen, damit alle Menschen, die in der Kirche sich haupt- oder ehrenamtlich engagieren, sensibilisiert sind.
epd: Muss die EKHN die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt verstärken?
Christiane Tietz: Seit der Veröffentlichung der ForuM-Studie ist das Thema auf allen Ebenen wichtiger geworden. Was jetzt im Frühjahr passieren wird, ist die Einrichtung der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission in Hessen, in der die evangelischen Landeskirchen und die Diakonie zusammenarbeiten. Auch Betroffene sind beteiligt. Darüber hinaus stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit den theologischen Herausforderungen um, mit Geschwisterlichkeit und Harmonie in der Kirche? Wie benennen wir klar Grenzen? Das müssen wir uns noch mal neu anschauen. Und wir müssen ein neues Verständnis von Vergebung finden. Gnade bedeutet eben nicht, pauschal zu sagen: Es ist schon gut, wie du bist. Zur Gnade gehört auch die Markierung: Es gibt Dinge, die du getan hast, die schlecht sind.
epd: Die Kirche befindet sich in einem Schrumpfungsprozess. Was ist Ihre Vorstellung von einer kleineren Kirche?
Christiane Tietz: Obwohl wir weniger sind und weniger Geld haben, wollen wir nicht einfach nur zurückbauen, sondern trotzdem weiter wirksam Kirche sein in unserer Gesellschaft. Wir müssen eine Doppelperspektive lernen: Auf der einen Seite wollen wir Veranstaltungsformate, die viele Menschen anziehen, wie Tauffeste oder Segnungsveranstaltungen. Auf der anderen Seite wollen wir Orte, an denen wir nicht nur auf die Zahlen gucken, sondern bei denen eine gewisse Treue und Kontinuität wichtig ist. Ich glaube, wir dürfen nicht nur auf die Quantität schauen, sonst müssten wir auch die Seelsorge für einzelne Menschen abschaffen, was wir natürlich nicht wollen.
Mein Herzensanliegen ist, dass wir als Kirche von Gott sprechen. Es geht darum, dass Menschen hier zusammen unterwegs sind, die nach Gott suchen und gemeinsam versuchen, sich auf Gott auszurichten. Dabei ist mir wichtig, dass man auch von sich persönlich spricht, das möchte auch ich weiterhin tun.
epd: Tausende treten jedes Jahr aus der Kirche aus. Aus welchem Grund sollte jemand in die Kirche eintreten?
Christiane Tietz: Weil man den Glauben mit anderen Menschen zusammenleben will. Und weil es einen stärkt und ermutigt zu hören, wie andere Menschen den Glauben leben. Ein weiterer Grund, bei uns einzutreten, kann sein, dass man sich den Werten verbunden fühlt, für die die Kirche steht. Und auch, weil die Kirche eine Akteurin ist, die Solidarität in Wort und Tat lebt, und zwar für alle in der Gesellschaft. Das Schöne ist ja, dass man sich in der Kirche mit einer ganz unterschiedlichen Intensität einbringen kann.
epd: Worauf freuen Sie sich in Ihrem neuen Amt?
Christiane Tietz: Auf das viele Predigen freue ich mich sehr. Jede Kirchenpräsidentin, jeder Kirchenpräsident hat einen regelmäßigen Predigtauftrag. Ich werde ihn vier- bis sechsmal im Jahr in der Gemeinde meiner Kindheit, der Dreikönigsgemeinde in Frankfurt, wahrnehmen. Außerdem darf ich auch in jeder anderen Kirche der EKHN predigen, wozu ich schon viele Anfragen erhalten habe. Ich freue mich darauf, die Gemeinden kennenzulernen.
epd: Was könnte schwierig werden?
Christiane Tietz: Dass ich die Berge zu sehr vermisse.
© epd: epd-Nachrichten sind urheberrechtlich geschützt. Sie dienen hier ausschließlich der persönlichen Information. Jede weitergehende Nutzung, insbesondere ihre Vervielfältigung, Veröffentlichung oder Speicherung in Datenbanken sowie jegliche gewerbliche Nutzung oder Weitergabe an Dritte ist nicht gestattet.
Das könnte dich auch interessieren
Bischöfin Budde fordert Mitgefühl von Trump - Ulrike Scherf äußert sich dazu
Im interreligiösen Dankesgottesdienst nach der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump hat die anglikanische Episkopalbischöfin von Washington, Mariann Edgar Budde, eindringlich an Trump appelliert, Mitgefühl für die Ängste der Menschen zu zeigen. Ulrike Scherf, Stellvertretende Kirchenpräsidentin der EKHN, äußert sich zu Buddes klaren Worten.
Demokratie-Sprechstunde: So kann Unzufriedenheit mit Politik zu gesellschaftlichem Engagement werden
Die Politikwissenschaftlerin Nicole Nestler hat mit ihrer Sprechstunde „Demokratiezeit“ in Wiesbaden positive Erfahrungen gemacht. Sie beobachtet, wie sich der Frust über die Politik in Aktivität verwandelt. Sie räumt auch mit der Annahme auf, dass man sich lange in Parteien hocharbeiten müsse, bevor man mitentscheiden könne
Rechtsruck bei jungen Leuten: Handlungsbedarf und Lösungsansätze
Der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 sehen einige besorgt entgegen: Aktuelle Studien und die Ergebnisse der letzten Wahlen zeigen: Ein beunruhigender Teil der Jugend fühlt sich zu rechter Gesinnung hingezogen. Eltern, Erzieher:innen, Lehrer:innen, Kirche und Gesellschaft sind jetzt gefordert, aktiv zu werden. Die Psychologin Bettina Schilling von der EKHN erklärt, wie wir gemeinsam handeln können.