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Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen katholischer und evangelischer Kirche
veröffentlicht 20.12.2023
von Jörg Bickelhaupt
„Wir glauben doch alle nur an einen Gott“, sagen viele. Ja, die Kirchen verbindet viel mehr als sie trennt, aber es gibt augenscheinliche Unterschiede, die die Gläubigen bewegen.
Wenn eine evangelische Frau einen katholischen Mann heiraten möchte, ist das heute (anders als früher) in den meisten Familien kein Streitthema mehr. In der Bevölkerung tolerieren sich die Mitglieder der katholischen und evangelischen Kirchen nicht nur, sondern sie leben, arbeiten und feiern ganz selbstverständlich zusammen. Ökumene ist heute selbstverständlich.
Viel Zuspruch finden darum ökumenische Gottesdienste und gemeinsame Veranstaltungen. Gut besucht sind auch die Ökumenischen Kirchentage. Seit Jahrzehnten gibt es ökumenische Gemeindezentren wie in Darmstadt Kranichstein, wo es regen Austausch gibt.
Aber sogar dort geschieht vieles noch nicht gemeinsam, wie beispielsweise ein gemeinsames Abendmahl. Denn Glaube, Tradition und Lehre der beiden Kirchen unterscheiden sich in einigen Punkten eben doch, und die lassen sich nicht einfach überspringen.
Andererseits ist – mit Bezug auf die „Charta Oecumenica“ - ökumenisch heute schon viel mehr möglich, als praktiziert wird.
Vielfalt des Christentums
Das Christentum ist auch bei uns vielfältig. Es gibt nicht nur die evangelischen Landeskirchen und die römisch-katholische Kirche, auf die sich diese Darstellung im Folgenden aus Gründen der Übersicht beschränkt.
Es gibt evangelische Freikirchen (Baptist*innen, Methodist*innen, Mennonit*innen u.v.a.m.), es gibt die Orthodoxen Kirchen, die orientalisch Orthodoxen, Altkatholische Kirche, Anglikanische Kirche, die Herrnhuter, altkonfessionelle Kirchen wie die SELK, Pfingstkirchen, die Adventist:innen, auch neuere Mitglieder der ökumenischen Familie wie die Neuapostolische Kirche u.v.a.m. und nicht zuletzt eine große Zahl internationaler Gemeinden. Christliche Vielfalt zeigt sich in konfessioneller, aber auch in kultureller Vielfalt (auch innerhalb der Konfessionen!).
Ökumene sollte also nicht nur bilateral (evangelisch – katholisch), sondern immer auch multilateral verstanden werden. Um einen Anfang zu machen, wir hier der Fokus auf das Verhältnis zwischen römisch-katholischer und evangelischer Kirche gelegt.
Gemeinsamkeiten zwischen katholischer und evangelischer Kirche
Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Kirchen sind in Umfang und Bedeutung Umfang größer als die Unterschiede. Uns verbindet:
- der Glaube an Gott, den Sohn und den Heiligen Geist,
- die Bibel als Wort Gottes,
- die Taufe, die sowohl die Mitgliedschaft in der Kirche begründet und alle Christ*innen miteinander verbindet,
- der Glaube an Christi Gegenwart im Abendmahl,
- Gebete wie das „Vaterunser“,
- das Apostolische Glaubensbekenntnis, überhaupt die Glaubensbekenntnisse der frühen Kirche,
- der sonntägliche Gottesdienst und viele Feste im Kirchenjahr,
- viele gemeinsame Kirchenlieder,
- die Begleitung der Menschen in wichtigen Lebensphasen wie Taufe, Eheschließung und Bestattung,
- das Engagement für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung,
- die Übernahme einiger staatlicher Aufgaben im Erziehung-, Bildungs-, Sozial-, Gesundheits- und Betreuungswesen wie konfessionelle Kitas oder Einrichtungen für behinderte Menschen.
Die Unterschiede zwischen römisch-katholischer und evangelischer Kirche
Unterschiedliche Traditionen in den Kirchen
Menschen leben ihren Glauben unterschiedlich, im Übrigen auch innerhalb der einzelnen Kirchen. Unterschiedliche Traditionen bereichern die Christenheit und trennen im Grundsatz auch nicht: Katholik*innen knien manchmal im Gottesdienst, sie bekreuzigen sich mit Weihwasser, sie beten den Rosenkranz, gehen zur Beichte, nehmen an einer Wallfahrt teil und verehren Heilige.
Bei den Evangelischen ist alles deutlich nüchterner mit einem Schwerpunkt auf der Predigt. Pfarrer oder Pfarrerinnen tragen einen schwarzen Taler, anders als katholische Geistliche mit ihren farbigen liturgischen Gewändern.
Andere Unterschiede dagegen trennen die Kirchen. Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen dem, was bereichert und dem, was trennt.
Was die Kirchen unterscheidet – und was sie noch trennt
Unterschiede können also bereichern; sie können aber auch trennen, müssen aber nicht zwangsläufig. Die ökumenischen Gespräche zwischen den Kirchen haben zum Ziel herauszufinden, ob bestehende Trennungen wirklich noch inhaltlich zu begründen sind; sie haben aber nicht zum Ziel, alles zu vereinheitlichen, sondern die Vielfalt wertzuschätzen und ggf. fruchtbar zu machen.
Einige Beispiele solcher Themen in den ökumenischen Gesprächen:
Auf dem Weg der Annäherung
Hinzu kommen Unterschiede in der theologischen Bestimmung des Menschen; diese führen gegenwärtig zu Differenzen zwischen den Kirchen in (individual)ethischen Fragen (z.B. Anfang und Ende menschlichen Lebens), aber z.B. nicht in sozialethischen (Frieden, weltweite Gerechtigkeit)!
In vielen dieser Gegenüberstellungen gibt es heute Annäherungen im ökumenischen Gespräch:
Im Verständnis des Abendmahls etwa ist man sich seit Jahrzehnten weithin einig, dass es darin zwar theologische Unterschiede gibt etwa in der Frage, wie man die Gegenwart Christi im Abendmahl theologisch beschreibt – dass diese Unterschiede aber nicht mehr als trennende Differenz verstanden werden müssen.
Im Moment erleben wir ‚synodale Prozesse‘ in der römisch-katholischen Kirche, in Deutschland und auf Weltebene; es gilt abzuwarten, wie sich diese synodalen Prozesse entwickeln. Synodalität wird dabei weltweit eher als geistlicher Prozess verstanden, im Hören darauf, was der Heilige Geist der Kirche sagt und wohin er sie führt. Damit sind nicht primär Entscheidungen von Fragen gemeint, die die Institution betreffen.
Häufige Missverständnisse
Unterschiede zwischen evangelischer und römisch-katholischer Kirche sind nicht immer sofort nachvollziehbar und erkennbar. Das kann zu Missverständnissen führen.
Ein grundlegender Unterschied - die Rolle des Papstamtes
Das Papstamt ist so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt katholischen Selbstverständnisses. Die evangelischen Kirchen richten sich stattdessen nicht auf ein zentrales Oberhaupt aus.
Ordination, (un)abhängig von Geschlecht und Lebensform? – Frauenordination und Zölibat
Offenkundig sind die Unterschiede vor allem an zwei Punkten:
Die römisch-katholische Kirche ordiniert nur Männer. Dies ist durch ein Schreiben des Vatikans an die Deutschen Bischöfe am 24.11.2023 nochmals klargestellt worden.
Die Ordinierten der katholischen Kirche des westlichen (lateinischen) Ritus unterliegen, anders als die evangelischen Pfarrer*innen, dem Zölibat, also der Verpflichtung, ehelos zu leben - eine Tradition, die sich ab dem 4. Jahrhundert nach Christus entwickelte, aber nicht immer kritiklos blieb. Priester der mit Rom unierten (= in Gemeinschaft stehenden) Ostkirchen sind z.B. in der Regel verheiratet.
Im Neuen Testament wird angesichts der nahe erwarteten Wiederkunft Jesu Christi an einigen Stellen die Ehelosigkeit empfohlen (Mt 19,12 u.a.), dies war aber nie Pflicht. Das ab dem 3. Jahrhundert entstehende Mönchtum praktizierte diese Lebensform, für Priester verbindlich wurde der Zölibat in der katholischen Kirche aber erst im Mittelalter (2. Laterankonzil 1139).
Die evangelische Kirche ordiniert heute Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht – Frauen aber auch erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Katharina Staritz (EKHN) wurde 1950 als erste Frau deutschlandweit in ein Pfarramt berufen; völlig gleichberechtigt waren Pfarrerinnen und Pfarrer auch in der EKHN erst 1971, zuvor gab es pikanterweise den sog. ‚Zölibatsparagraphen‘ für Pfarrerinnen (sie mussten – ähnlich wie damals auch Lehrerinnen – bei Heirat aus dem Dienst ausscheiden); bis heute gibt es weltweit betrachtet auch evangelische Kirchen, die keine Frauen ordinieren.
Evangelische Pfarrer:innen dürfen heiraten. Im Unterschied zur katholischen Kirche ist der Zölibat also keine verpflichtende Lebensform für Ordinierte, als frei gewählte Lebensform ist er natürlich möglich.
Genau an diesen beiden Punkten wird gegenwärtig innerkatholisch kontrovers diskutiert: der Synodale Weg in Deutschland befürwortete gegenüber Rom ein neues Nachdenken über die Zulassung von Frauen als Diakoninnen bzw. ihre Ordination als Pfarrerinnen; auch der Pflichtzölibat wird überwiegend kritisch gesehen.
Allgemeines & gemeinsames Priestertum, kirchliches Amt und kirchliche Einheit
Der Begriff „Priestertum“ betrifft nicht nur Pfarrpersonen. Die katholische Kirche unterscheidet das gemeinsame Priestertum aller Getauften von dem besonderen „Priestertum des Dienstes“ (hierarchisches Priesteramt), das in der Priesterweihe gründet und nur Ordinierten zukommt. Beide beziehen sich aufeinander sind aber unterschiedlich in Bezug auf ihr Wesen, nicht nur dem Grade nach.
Die evangelische Kirche kennt hier nur das „Allgemeine Priestertum aller Getauften“, d.h.: alle Christ*innen sind beauftragt, ihren Glauben zu bezeugen, ihn weiterzugeben und sich um Menschen in Not zu kümmern. Die Ordination ins Pfarramt gilt in ihr nicht als „Priesterweihe“: „Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei.“ (Martin Luther)
Trotz dieser geistlichen Befähigung aller Getauften setzte sich Luther für Ämter in der Kirche ein:
- einerseits um der Ordnung willen: die Kirche beruft Menschen in den Dienst an Wort und Sakrament, nicht eine Einzelperson sich selbst, die sich für berufen hält;
- andererseits, weil das Amt notwendig zur Kirche gehört; die Kirche lebt von Wort und Sakrament und das Amt tut diesen Dienst: die Augsburger Konfession (CA) von 1530, das wichtigste reformatorische Bekenntnis, spricht sogar von seiner „göttlichen Einsetzung“ (CA 5) – aber des (einen!) Predigtamtes an sich, das das Evangelium verkündigt und die Sakramente feiert.
Von diesem Amt als Grund der Kirche zu unterscheiden sind nach evangelischem Verständnis die geschichtlich gewordenen Gestalten des Predigtamtes wie das dreigliedrige Amt von Bischof, Priester, Diakon (etwa in der römisch-katholischen Kirche) oder auch unser landeskirchliches Amt des Pfarrers/der Pfarrerin. Diese Gestalten des Amtes sind mögliche und evtl. sogar sehr plausible Konkretionen, aber nicht die einzig möglichen. Für kirchliche Einheit ist darum nach evangelischem Verständnis eine gleiche Amtsgestalt nicht notwendig.
Das sieht die römisch-katholische Kirche anders: der dreigliedrige Ordo (Bischof – Priester – Diakon) sowie das gesamtkirchliche Leitungsamt des Papstes gilt als von Gott eingesetzt. Gegenwärtig wird in der katholischen Kirche sehr kontrovers über die Zulassung von Frauen zu den Ämtern diskutiert.
Wie begründen die Kirchen ihre Entscheidungen?
Martin Luther empfahl, kirchliche Lehre und kirchliches Leben an der Bibel zu prüfen. Auch in den Kirchen der Reformation gibt es verbindliche Lehre, die etwa in den Bekenntnisschriften ihren Ausdruck findet, aber allein die Hl. Schrift (sola scriptura) ist grundlegender Bezugspunkt und Referenzrahmen kirchlicher Lehre.
In der römisch-katholischen Kirche steht an dieser Stelle das Verhältnis von „Schrift und Tradition“ (in der Reformationszeit einer der zentralen Streitpunkte!).
Gerade hier haben die ökumenischen Gespräche für manche Klärung gesorgt: so ist es aus katholischer Sicht klar, dass sich kirchliche Traditionen stets an der biblischen Botschaft messen lassen müssen; andererseits ist in der Entwicklung der Bibelwissenschaft deutlich geworden, dass auch die Hl. Schrift einen Traditions-Prozess durchlaufen hat, bevor der Kanon – also der heutige Textumfang von Altem und Neuem Testament – feststand.
Schrift und Tradition müssen also unterschieden, können aber nicht getrennt werden.
Entscheidender für die Frage in der Überschrift ist jedoch, wer entscheidet: Synoden bzw. unterschiedliche kirchliche Instanzen wie Gemeinde, wissenschaftliche Theologie, Kirchenleitung etc. in einem differenzierten Zusammenspiel wie in der ev. Kirche oder in letzter Konsequenz das kirchliche Lehramt (Papst und Bischöfe)?
Die Ökumene zeigt, dass es hier in beiden Kirchen Entwicklungen gibt – in der katholischen Kirche in jüngster Zeit in den beginnenden synodalen Prozessen und der Frage, ob und wie sie auf mittlere und längere Sicht kirchliche Entscheidungsprozesse verändern werden?
Synodalität – die Verantwortung aller Christ*innen für ihre Kirche, gerade angesichts von Missbrauch und sexualisierter Gewalt
Mit dem Synodalen Weg (2019-2023) hat die katholische Kirche in Deutschland unter anderem auf den Missbrauchsskandal und die sog. „MHG-Studie“ reagiert.
Alle Kirchen – aber auch die Gesellschaft insgesamt – sind in unserer Zeit herausgefordert, sich mit Missbrauch und sexualisierter Gewalt in Vergangenheit und Gegenwart auseinanderzusetzen und auf Zukunft hin einschneidende Konsequenzen zu ziehen, dabei Strukturen zu überwinden, die Missbrauch ermöglichen oder begünstigen. Dies hat stets im Blick auf die von Missbrauch und sexualisierter Gewalt Betroffenen zu geschehen, nicht mit dem Fokus auf die eigene Institution. In diesem Zusammenhang wurden von den katholischen Bistümern wie auch von der Evangelischen Kirche in Deutschland (Forum-Studie) Gutachten und Studien durch externe Fachleute in Auftrag gegeben. Entscheidend wird hier sein, wie konsequent die Ergebnisse dieser Studien von den Kirchen umgesetzt werden und ob sie auch zu grundlegenden strukturellen Veränderungen führen.
Angesichts der Abgründe, die sich hier auftaten, hat sich die katholische Kirche in Deutschland mit dem „Synodalen Weg“ auf einen Weg der Umkehr und Erneuerung gemacht, der ökumenische Hoffnungen nährt. Themen des Synodalen Weges waren unter anderem Sexualität und Partnerschaft sowie Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche, und auch Fragen von Macht und Gewaltenteilung. Diskutiert wurden auch der Zölibat, die Ehelosigkeit der Priester sowie die gegenseitige Einladung zum Abendmahl. In der Nachfolge des Synodalen Wegs hat sich 2023 ein „Synodaler Ausschuss“ gebildet“, der einen „Synodalen Rat“ in Deutschland vorbereiten soll.
Ein synodaler Prozess findet derzeit (2023/24) in der katholischen Kirche auf Initiative von Papst Franziskus auch auf Weltebene statt. Nicht nur Papst und Bischöfe, sondern – und das ist neu - auch nichtordinierte Personen unterschiedlichen Geschlechts beraten über Gegenwarts- und Zukunftsfragen von Kirche und Welt. Es handelt sich um einen geistlichen Prozess, der das Hören aufeinander und auf das, was der Heilige Geist sagt.
Die Kirche und die Kirchen – Einheit und Vielfalt
Aus evangelischer Sicht ist Kirche überall da, wo das Evangelium in Wort und Sakrament verkündigt wird. Sie ist keine virtuelle Realität, sondern hat stets auch eine konkrete Gestalt. Das „überall da, wo“ wirkt sich aus auf das Verständnis von Einheit und Vielfalt. Es erklärt die protestantische Offenheit für unterschiedliche Kirchenordnungen und gegenüber anderen Traditionen. Die eine Kirche besteht in unterschiedlichen Kirchen – inhaltlich kirchentrennende Differenzen jedoch sind zu überwinden. So war es ein großer Fortschritt, dass die meisten der hundert protestantischen Kirchen in Europa 1973 in der Leuenberger Kirchengemeinschaft (heute „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE)“) als „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ eng zusammenwirken.
Nach katholischem Verständnis gibt es die Vielfalt in der Einheit, aber kein unverbundenes Nebeneinander mehrerer Kirchen. Für diese Verbindung sieht die katholische Kirche neben Wort und Sakrament noch das kirchliche Amt als notwendige Klammer an – konkret das Historische, von den Aposteln herkommende, Bischofsamt in Gemeinschaft mit dem Papst. Ökumene versteht sie als geistlichen Prozess, als Bekehrung der Herzen und inneren Umkehr, der vom Heiligen Geist geleitet wird. Im Ökumenismusdekret des II. Vatikanischen Konzils beschrieb die Katholische Kirche auch die Bande der Verwandtschaft, die es zwischen den Kirchen der Reformation und der Katholischen Kirche gibt, die nicht zerrissen worden sind.
Da die evangelischen Kirchen aus der Sicht Roms nur zwei der drei o.g. Kriterien erfüllen, sind sie nach Aussage von Papst Benedikt XVI im Jahr 2007 keine „Kirchen im eigentlichen Sinn“; innerkatholisch sieht man das heute freilich deutlich differenzierter. Gleichwohl sind die Fragen wechselseitiger kirchlicher Anerkennung wie auch das Verhältnis von kirchlicher Einheit und Vielfalt ungelöst und darum zentrale Themen des ökumenischen Gesprächs.
Unterschiedliche Zahl der Sakramente
Die evangelische Kirche kennt nur die beiden Sakramente Taufe und Abendmahl. Nur sie sind in den biblischen Überlieferungen als solche bezeugt. Die katholische Kirche feiert sieben Sakramente, die sich im Lauf der Geschichte entwickelten. Auch Firmung, Buße, das Weihesakrament, Ehe und die Krankensalbung sind Sakramente.
Das ökumenische Gespräch hat Taufe und Abendmahl als grundlegende und wichtigste Sakramente bestimmt und tendiert dahin, dass die unterschiedliche Zählung nicht zwingend trennend wirken muss – zumal es die meisten der übrigen Sakramente in analoger Form (als kirchliche Amtshandlungen) auch in der evangelischen Kirche gibt und es um deren inhaltliche wie lebenspraktische Bedeutung geht.
Bei der Taufe sind sich die Kirchen einig?
.. die evangelische und die katholische ja, aber leider nicht alle Kirchen!
Mit der Taufe wird man in eine konkrete (evangelische, katholische, orthodoxe ..) Kirche aufgenommen. Theologisch bedeutet sie zugleich die Eingliederung in den Leib Christi, das bedeutet: Wer getauft ist, gehört neben einer konkreten Kirche auch zur „Gemeinschaft der Heiligen“, das ist die Gemeinschaft der ganzen Kirche, die Christenheit.
Die Taufe wird von den evangelischen Landeskirchen und der katholischen Kirche wechselseitig anerkannt. Auch weitere christliche Kirchen, die allesamt auch die Kindertaufe praktizieren, haben die Taufe wechselseitig anerkannt (Magdeburger Taufanerkennung 2007). Bei einer Konversion (Wechsel der Kirche) wird die betreffende Person also nicht erneut getauft.
Gerade in der Frage der Taufanerkennung ist jedoch die eingangs angesprochene multilaterale, also nicht auf evangelisch-katholisch verengte Perspektive wichtig, will man Kurzschlüsse vermeiden (wie ein Ausrufe- statt eines Fragezeichens in der Überschrift), denn:
Nicht alle Kirchen konnten die Magdeburger Taufanerkennung unterschreiben. Viele evangelische Freikirchen praktizieren ausschließlich die Taufe persönlich glaubender Menschen. Da (kleine) Kinder ihren persönlichen Glauben noch nicht hinreichend klar selbst ausdrücken können, werden sie dort auch nicht getauft (sondern erhalten einen Segen) und Kindertaufen anderer Kirchen werden nicht als Taufen anerkannt.
Die zentrale Frage nach dem Abendmahl
Ob Abendmahl oder Herrenmahl, Kommunion oder Eucharistie, gemeint ist das Sakrament, das auf das Mahl Jesu mit seinen Jüngern verweist. In nahezu allen Kirchen wird das Abendmahl als Sakrament – als heilige Handlung – verstanden, durch das die Gläubigen Gemeinschaft untereinander und mit Gott erfahren. Aus diesem Grund spielt es in der modernen ökumenischen Diskussion seit jeher eine zentrale Rolle: An keinem anderen Ort ist die Spaltung der Christinnen und Christen deutlicher und der Schmerz spürbarer als bei der Feier des Abendmahls.
Kann man „ökumenisch heiraten“? – Trauung und Segnung
Eine „ökumenische Trauung“ im Wortsinn gibt es nicht. Aber im deutschsprachigen Raum ist ein Gottesdienst anlässlich der Eheschließung mit einem katholischen Pfarrer oder Diakon und einem evangelischen Pfarrer oder einer Pfarrerin möglich. Findet der Gottesdienst mit beiden Pfarrpersonen in einer evangelischen Kirche statt, ist es eine evangelische Trauung (mit kath. Assistenz), findet er mit Pfarrerin und Priester in einer katholischen Kirche statt, ist es eine katholische Trauung (mit ev. Assistenz).
In beiden Fällen ist der Ablauf der Trauung weithin identisch. Für beide Kirchen ist es ein Gottesdienst in der Kirche.
In den evangelischen Landeskirchen können auch verheiratete Paare desselben Geschlechts kirchlich getraut werden. An dieser Stelle ist eine ökumenische Mitwirkung noch nicht möglich, da sich nach katholischem Verständnis nur ein Mann und eine Frau das Ehesakrament wechselseitig spenden können. Allerdings wird momentan in der katholischen Kirche über die Möglichkeit der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare gesprochen; entsprechende gottesdienstliche Formulare sind in Vorbereitung.
Trennungen bestehen nicht für die Ewigkeit - gibt es einen Fortschritt hin zu kirchlicher Einheit?
Was Protestant*innen und Katholik*innen vor 500 Jahre trennte, ist interessanterweise heute kein Problem mehr. Luther richtete seine Kritik vor 500 Jahren weder gegen das Amtsverständnis der römischen Kirche noch gegen die katholische Auffassung der Sakramente. Seine 95 Thesen richteten sich stattdessen gegen den kirchlichen Ablasshandel. Dass Menschen sich mit Geld oder ‚guten Werken‘ aus Strafen für ihre Sünden herauskaufen konnten, verstieß in seinen Augen fundamental gegen die Gnade Gottes „allein aus Glauben“ (im Neuen Testament etwa Röm 1,17).
Die Katholische Kirche vertritt in dieser Frage heute Positionen, die derjenigen Luthers nahe kommen: „Allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi, nicht auf Grund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen“.
Das zeigt, dass die Kirchen durch ihre ökumenischen Kontakte und jahrelange theologische Gespräche durchaus in der Lage sind, ihre Positionen neu zu formulieren – auch gemeinsam. Die Kirchen und auch die Gemeinden arbeiten schon lange im Rahmen einer „prozessorientierten Ökumene“ gut zusammen: eine gemeinsame Grundlage ökumenischer Arbeit bietet hier die Charta Oecumenica, in neuerer Zeit und in der Region Hessen etwa der Text „Gemeinsam gesandt“.
Gemeinsame Herausforderungen
Die Kirchen können in unserer Zeit den christlichen Glauben nur gemeinsam glaubwürdig vertreten – und diese Glaubwürdigkeit müssen sie sich angesichts des Missbrauchsskandals erst wieder mühsam erarbeiten.
Wir leben in einer Zeit, in der kirchliche Bindung, aber auch religiöse Orientierung stark nachlässt (Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung KMU 6). Die (inzwischen ehemaligen) Volkskirchen sind in Deutschland schon heute in der Minderheit und werden zahlenmäßig weiterhin zunehmend marginaler werden.
Ökumene ist zwar, wie eingangs gesagt, heute weithin selbstverständlich - für die allermeisten derer, die sich als Christ*innen verstehen; für die Mehrheit der Bevölkerung jedoch spielen heutzutage Fragen des Glaubens und damit auch der Ökumene keine Rolle mehr.
Umso mehr sind darum die Kirchen herausgefordert, gemeinsam zu agieren - zu kooperieren und sich nicht gegeneinander zu profilieren; wieder anzuknüpfen an dem Impuls, mit dem die Ökumenische Bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts begann: Gemeinsam das Evangelium zu verkünden!
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