Ilona Surrey
Marlies Flesch-Thebesius
veröffentlicht 08.05.2024
von Britta Jagusch
Marlies Flesch-Thebesius war Journalistin, Pfarrerin und Autorin. 1920 in Frankfurt am Main geboren, trat sie ihr Leben lang für Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung ein. Am 31. Dezember 2018 verstarb die 98-Jährige in ihrer Heimatstadt.
Außergewöhnliche Frauenbiographien
Ob als Journalistin, Pfarrerin oder Autorin, den Biographien von starken und außergewöhnlichen Frauen galt ihr besonderes Interesse. Dabei war ihre eigene Biographie ebenfalls eine Außergewöhnliche. Bis ins hohe Alter setzte sich Marlies Flesch-Thebesius mit der Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus und der Rolle der evangelischen Kirche auseinander und trat für die Gleichberechtigung von Frauen im kirchlichen Amt ein.
Demütigungen im Nationalsozialismus
1920 in Frankfurt geboren, bekam sie als 13-Jährige die Demütigungen und Ausgrenzungen unter der nationalsozialistischen Herrschaft zu spüren. Ihr Großvater war vor seiner evangelischen Taufe Jude und so galt ihr Vater als „Halbjude“, sie selbst als „Vierteljüdin“. Die Familie lebte in dem Bewusstsein, dass „immer etwas Schlimmes passieren konnte“. Geprägt wurde sie durch ihren kommunalpolitisch und sozial engagierten Vater und ihre theologisch und politisch interessierte Mutter sowie die Bekennende Kirche, in der sich die Familie aufgefangen fühlte.
Marlies Flesch Thebesius - Der Widerspruch ist Teil des Wahrhaftigen
Für die Bibliothek der Generationen in Frankfurt erzählt Marlies Flesch Thebesius ihre Geschichte. Trailer zum Dokumentarfilm von Enzo Edschmidt.
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Dolmetscherin in Italien
1939 machte Marlies Flesch-Thebesius ihr Abitur, 1943 ihr Examen zur Dolmetscherin in Englisch und Italienisch. „Es ist die Sehnsucht nach fremden Sprachen und die Möglichkeit, unabhängig von Deutschland zu werden.“ Nach dem Examen arbeitete sie in Italien und erlebte dort auch das Ende des Krieges und das Ende der Herrschaft der Nationalsozialisten.
Redakteurin bei der FAZ und dem Hamburger Sonntagsblatt
Schon damals wurde das Schreiben für sie zur Leidenschaft, später zum Beruf. Nach ihrer Rückkehr nach Frankfurt arbeitete sie bei der Nachrichtenagentur DANA unter amerikanischer Administration. Sie machte ein Volontariat bei der Mainzer Allgemeinen und arbeitete als Redakteurin bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, später wechselte sie zum Allgemeinen Sonntagsblatt nach Hamburg. Für die Rubrik „Zuspruch“, in der sie Lebenshilfe anbot, erhielt sie viel Resonanz. Doch am meisten lagen ihr Frauenthemen am Herzen, die gleichzeitig Reizthemen waren. Der Beitrag „Die Frau auf der Kanzel“, den sie 1957 schrieb, gab ihrem eigenen Leben eine neue Wende.
Selbstbestimmt ins Theologiestudium
Die Theologinnen im Amt weckten in ihr den Wunsch, selbst Theologie zu studieren. Es schreckte sie nicht ab, dass Frauen nur begrenzt das Pfarramt ausüben durften und weniger Gehalt bekamen als die Pfarrer. Auch durften sie nicht heiraten und mussten sich trotz bei gleicher Ausbildung „Vikarin“ nennen. 1957 lenkte sie ihr bereits sehr eigenständiges Leben in noch selbstbestimmtere Bahnen, ohne Ehemann und Familie. Ein mutiger Schritt in einer Zeit, als in der Öffentlichkeit ganz deutlich ein Frauenbild wieder erwachte, das Herd, Familie und die stützende Kraft für den Mann in den Mittelpunkt stellte.
Interview Marlies Flesch Thebesius in der Ev-lutherischen Dreikönigsgemeinde Frankfurt Sachsenhausen
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Leiterin des Diakonischen Jahres in der Evangelischen Kirche im Rheinland
Nach dem Studium in Heidelberg und Hamburg und dem Theologischen Examen in der Badischen Landeskirche folgte das Vikariat in Mannheim. Ihr erster Berufsschritt brachte sie in eine Führungsposition. Von 1965 bis 1972 leitete sie das „Diakonische Jahr“ in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Es sind Jahre des gesellschaftlichen und politischen Aufbruchs. Angesprochen fühlte sie sich vom Politischen Nachtgebet von Dorothee Sölle und der Bewegung von Christinnen und Christen, die sich für Veränderungen der politischen Verhältnisse einsetzten.
Gemeindepfarrerin und Beauftragte für Mission und Ökumene in der EKHN
Als 1970 die Synode der EKHN das Antirassimusprogramm des Ökumenischen Rats der Kirchen mit 100.000 Mark aus Haushaltsmitteln unterstützte, war das für Marlies Flesch-Thebesius ein wegweisendes Zeichen. Sie starte 1972 als Pfarrerin der EKHN in einem Doppelamt: als Gemeindepfarrerin in der Alten Nikolaikirche und als Beauftragte für Mission und Ökumene im Propsteibereich Frankfurt.
Aktiv in der Frauengruppe gegen Apartheid
Besonders wichtig wurde für sie die Arbeit der Frankfurter Frauengruppe gegen Apartheid in Südafrika. Mit dem Aufruf „Kauft keine Früchte aus Südafrika“ unterstützten Frauen aus der EKHN den Widerstand gegen die Apartheid und demonstrierten in der Frankfurter Innenstadt. Hier konnte Marlies Flesch-Thebesius einstehen für Menschen, die aufgrund von rassischen Vorurteilen verfolgt werden, eine Diskriminierung die sie selbst als junger Mensch erfahren hatte. Die Solidarität der Frauen und die Erfahrung, dass man mit Prostest etwas erreichen kann, imponierten ihr.
Als Autorin arbeitet sie die Rolle der Kirche im Nationalsozialismus auf
Nach ihrer Pensionierung 1983 widmete sie sich der Aufarbeitung der Geschichte ihrer Familie im Dritten Reich. 1988 erschien ihr erstes Buch „Hauptsache Schweigen – ein Leben unterm Hakenkreuz“. 1993 wird ihr zweites Buch veröffentlicht „Blumen der Steppe - Das Leben der Pfarrerin Erica Küppers“. Eine Pfarrerin der Bekennenden Kirche und später der EKHN, die als Synodale maßgeblich dazu beitrug, dass 1959 die Rechte der Vikarinnnen gestärkt wurden.
2005 erhält sie den Leonore Siegele-Wenschkewitz Preis
2005 erhielt sie für ihr Buch „Zu den Außenseitern gestellt. Die Geschichte der Gertrud Staewen 1894-1987“ den Leonore Siegele-Wenschkewitz Preis. Eine Auszeichnung, die alle zwei Jahre Beiträge würdigt, die in besonderer Weise die Feministische Theologie oder die Gender Studies in der Theologie vorantreiben.
Bis ins hohe Alter berichtete sie als Zeitzeugin über ihre Erlebnisse während des Nationalsozialismus.
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