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Wir brauchen nun Langstreckenläufer*innen

veröffentlicht 02.04.2024

von Prof. Dr. Dr. Günter Thomas

Christenmenschen gönnen sich Denkpausen. Nachdenkpausen. Evangelischer Glaube geht auf eine Entdeckung zurück: Gott beruft nicht zum besonderen und alltagsfernen Klosterleben. Gott beruft Menschen zum alltäglichen Leben. Das Alltagsmanagement in all seinen Gestalten ist der Ort der Gottesgegenwart. Nicht das Außeralltägliche, das moralisch Fortschrittliche und Progressive. Das ist evangelisches Evangelium. Gottesdienst im Alltag. Das klingt einfach, ist einfach, hat aber ein paar Haken und Ösen.

Das Lob des Alltäglichen, die Berufung zum Alltagstun, öffnet den Blick für die Fülle der Schöpfung. Die Schöpfung Gottes hat viele Seiten. Da ist die in Freude und Sorge wahrgenommene naturale Seite. Die soziale Seite reicht von der Freundschaft bis in das Feld der Politik. Als Geschöpf leben, heißt aber auch räumlich leben, beheimatet zu sein und die Ferne zu genießen. Zu dieser Fülle gehören ebenso das Gespräch über das Leben, Musik, Tanz, Theater, Festivals und Textwelten, in denen man sich selbst vergessen und neu erleben kann. All diese Seiten der Schöpfung machen uns zu Empfangenden und rufen in die Verantwortung und die aktive Gestaltung. Alle wollen miteinander verbunden sein und müssen oft gegeneinander abgewogen werden.

Wir leben nicht mehr ungefährdet und paradiesisch

In Gottes Schöpfung zu leben, heißt auch, sich Gottes Blick auf die Welt und seine Schöpfung gefallen zu lassen. Nicht selten ist dies eine Zumutung. So auch in Sachen Fürsorge für die naturale Seite der Schöpfung. Die vielzitierte Geschichte von der Bewahrung der Schöpfung im Garten (1 Mose 2) hat eine ernüchternde Pointe: Das Projekt des Bewahrens der Schöpfung ist an der Verführbarkeit des Menschen zu grenzenloser Selbstüberschätzung, an seinem Sein-Wollen-wie-Gott, gescheitert. Anders gesagt: Wir leben nicht mehr ungefährdet und paradiesisch in diesem Garten. Der Mensch, aus Staub gemacht und wieder zu Staub werdend, ist eingewoben in die Natur. Zugleich muß er, so das Bild dieser Geschichte, außerhalb des Paradieses diesem staubigen Acker mit Mühen sein Leben abringen. In der Sprache der Kriminalisten gesprochen: Wir Menschen sind nicht nur, aber gewiss auch Gefährder der Schöpfung. Wir gefährden so auch unsere naturalen Grundlagen. Das ist unstrittig. Wir sind aber zugleich gefährdet. Nur im Ringen mit der Natur leben wir. Wir sind darum tatsächlich gefährdete Gefährder. An der Aufgabe, diese beiden Seiten unseres Lebens zu bearbeiten, scheitern wir zu oft. Auch in allen Versuchen, tatsächlich die Welt zu retten.

Das Bild zeigt gänzlich eine stark verrostete Dose. Im Hintergrund ist etwas Wald erkennbar.

© Jürgen Treiber / fundus-medien.de

Verantwortung für die Umwelt zur Bewahrung der Schöpfung tragen

Trotz unseres Scheiterns: Gott beruft uns

Wenn es einen roten Faden in der Bibel gibt, dann den: Gott ist wählerisch. Gott will mit Gescheiterten für die Welt Sorge tragen. Gott sucht und beruft Gescheiterte als Partner – die Erschöpften und die am Größenwahn Gescheiterten. Die an dem Lebensmanagement und die an der Weltrettung Gescheiterten. Das Evangelium ertragen, heißt darum auch lassen. Christen dürfen in den heißen Schlachten um Aufmerksamkeit für ökologische Aktivitäten im kühlen Schatten von Gottes Fürsorge und Berufung auch so manches lassen. Sie können als Leserin oder Leser auch das Material dieser Initiative in der Tat ‚getrost‘ beiseitelegen. Sie können, müssen aber nicht.

Ist so zu denken und zu glauben verantwortungslos angesichts der Umweltkrise? Wird mit dieser Haltung nicht die notwendige Fürsorge für die Schöpfung verschoben, verwässert, zerredet und letztlich verweigert? Nein! In Wahrheit ist dies der evangelische Wurzelgrund aller Fürsorge für die verschiedenen Seiten der Schöpfung. Im großen Rahmen der Fürsorge Gottes setzen die Gescheiterten frohgemut und unverbiestert Zeichen der Fürsorge für die Schöpfung. Nicht naiv, sondern erfahren in den Zweideutigkeiten des Lebens. Ohne einen verhärmt und verbittert machenden Perfektionismus wagen sie das Fragment. Im Experiment spüren sie ihre persönlichen Gaben auf. Sie vertrauen nicht dem Leben, sondern Gott, dem Schöpfer, dem Begleiter und, ja, auch Retter.

Gottes Berufung gibt den langen Atem, den wir brauchen

Der Dank macht Christ*innen zu Entdeckern ihrer Talente. Mit ihrer je ganz eigenen Geschichte finden sie heraus, wie und wo sie für welche Seite der Schöpfung Verantwortung übernehmen möchten. Und ja, sie lassen sich nicht durch die eigene Bewunderung für den so richtigen persönlichen moralischen Kompass verführen. Das haben alle, die als Gescheiterte berufen sind, hinter sich. Wir leben alle jenseits des Paradieses auf einem staubigen Acker. Also, nicht hektisch, sondern unerschrocken und geduldig leben Christen ihre Treue zu dieser gefährdeten Erde. Zum Ausleben ihrer Talente sind Christen berufen. Als gescheiterte und doch talentierte, als gefährdete und unausweichlich gefährdende Menschen leben sie. Nicht peinlich kleinlich und nicht griesgrämig. Berufen zum Alltagsmanagement. Dankbar engagiert und fürsorglich. Dabei lassen sie sich immer wieder daran erinnern, wie wählerisch Gott bei der Wahl seiner Partner ist. Der Geber der Talente beruft dazu, die Talente zu entdecken und auszuleben. Das ist ihr Trost und ihre Inspiration. Das gibt den langen Atem für die geduldige Arbeit an Gefährdungen der naturalen Seite der Schöpfung. Bildlich gesprochen: wir brauchen nun Langstreckenläufer*innen.

Zum Autor

Prof. Dr. Dr. Günter Thomas lehrt an der Universität Bochum Systematische Theologie, Ethik und Fundamentaltheologie.

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